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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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heiteres, glitzerndes, atemberaubendes Panorama, als wollte die Stadt uns zu verstehen geben, dass wir sie in all den Jahren gar nicht richtig angesehen hatten. Und nachdem die Wolkenkratzer hinter der Flussbiegung verschwunden waren, das Schiff Fahrt aufnahm und auch die dunklen Segel der Sampans zurückblieben, die uns ein Stück begleitet hatten, konnte ich nicht aufhören mir vorzustellen, dass in wenigen Stunden hinter Tausenden Fenstern die Lichter angehen, dass der Bund leuchten und feiern, die Nanking Road wirbeln und lärmen, die Menschen in Hongkou immer noch leiden und sterben und das Leben unverändert weitergehen würde, als wäre ich, als wären wir niemals hier gewesen.
    Kaum hatte die Marine Lynx den Fluss hinter sich gelassen und das ostchinesische Meer erreicht, begannen die Planken, die uns trugen, zu knarren und zu beben. Dumpfe Schläge krachten gegen den Schiffsrumpf, Decken, Wände und Boden schwankten und ich begann zu wünschen, wir wären einfach geblieben, wo wir waren. Wir hatten kaum Zeit, unsere Betten zu beziehen – zwei Etagenbetten zu beiden Seiten eines engen Räumchens tief im Bauch des Schiffes, wo man das Dröhnen der Motoren bis in die Zähne spürte –, als die Ersten von uns stöhnend durch den Gang wankten auf dem Weg zu den Restrooms .
    Ich zog das Oberdeck vor und hielt mich an einem Handlauf fest. Salzige Gischt sprühte in mein Gesicht und mit brennenden Augen versuchte ich einen Punkt am Horizont zu fixieren, während die Marine Lynx wie ein Plastikball zwischen erkennbar näher rollenden oder sich plötzlich vor uns türmenden Wellen auf und nieder geworfen wurde. Ich klammerte mich an den Gedanken, dass sie, so ramponiert sie aussah, immerhin Jahre des Krieges auf stürmischen Meeren überstanden hatte, und dass uns im Gegensatz zu damals nur ein paar läppische Wellen und wenigstens keine feindlichen U-Boote aus der Tiefe drohten.
    Namenlose U-Boote, Zerstörer, Flugzeugträger, Fregatten und Lastenboote, die zu Hunderten mit Mann und Maus hier draußen versunken waren. Am Himmel wurde es langsam dunkel; schwarz und drohend umgab mich schäumendes Wasser und ich konnte mich nicht mehr abhalten von der erst unbehaglichen, dann immer schauerlicheren Vorstellung, dass ruhelose Geisterhände von unten nach unserem Schiff griffen. Die Ozeane waren zu Schiffsfriedhöfen geworden, auch die Yamato lag auf unserem Weg, die der Stolz der japanischen Marine gewesen war, und vielleicht würden wir direkt über die HMS Prince of Wales mit ihren tragischen Schicksalen hinwegrauschen …
    Endlich kam ein freundlicher Matrose und vertrieb mich vom Deck. »Hier oben ist es zu gefährlich, Miss. Sie müssen auch etwas essen und danach legen Sie sich auf den Fußboden.«
    »Auf den Fußboden?«, wiederholte ich schwach.
    »Ja, gegen Seekrankheit gibt es nichts Besseres. Bloß nicht ins obere Etagenbett! Wenn Sie in der Kabine keinen Platz finden, kommen Sie in den Turnraum, dort liegen Matten.«
    Im kleinen Gym lagen nicht bloß Matten in ordentlichen Reihen neben- und hintereinander, es lagen auch schon zahlreiche Leidende darauf, die bereit waren zu sterben. Zwischen jeweils zwei Matten stand ein Brecheimer, das Ganze sah aus – und roch – wie ein Lazarett.
    Eine Hand hob sich und winkte mir schwach. Es wunderte mich überhaupt nicht, dass Konitzers den Geheimtipp mit dem Turnraum bereits kannten, während meine Eltern sich weigerten, mir zu glauben und die Kabine zu verlassen.
    Ich winkte zurück und ging so weit wie möglich von Onkel Victor und Tante Irma entfernt zu Boden. Es gibt Situationen, die man lieber zwischen Fremden erleidet. Unterbrochen von wackligen Spaziergängen an Deck und Versuchen, in der Kantine etwas Tee und Zwieback herunterzuzwingen, kotzten wir bis Singapur, dann nahm uns der ruhigere, hitzeflirrende Indische Ozean auf.
    Nach Hause. Derselbe Weg wie damals, doch eine neue Weltkarte. Lauter kleine Länder in Asien und Afrika, die ihre Kolonialherren abschüttelten, und auch die meisten von uns waren nicht mehr dieselben. Etliche waren als Eheleute ausgewandert und mussten nun allein zurück; es hatte Trennungen und Scheidungen gegeben unter den neuen Lebensumständen in Shanghai. Viele hatten sich aus anderen Gründen zerstritten, die man zwar nie erfuhr, aber zu beachten hatte; es war ausgesprochen heikel, wer mit wem am Tisch zu sitzen kam.
    Da es keine festen Plätze gab, sondern mehrere lange Tischreihen und eine Essensausgabe, an der man sich mit

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