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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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dass am Bahnhof tatsächlich etwas vorgefallen war, nur um mich nicht zu blamieren …
    Ich senkte den Kopf, als wir zurück zu den anderen gingen. Und diesmal war ich sehr, sehr dankbar, dass niemand auf mich achtete.
    Mamu und Konitzers blickten nicht weniger bedrückt drein als Papa und ich. Ein fehlender Stempel schwebte über uns allen … erst beim Betreten des Schiffes würden wir erfahren, ob man uns überhaupt an Bord ließ.
    »Tun wir einfach, als wäre alles in Ordnung«, sagte Frau Konitzer tapfer. »Haben Sie Ihren Lift schon ausgelöst? Wenn nicht, könnten wir zusammen zum Zoll gehen.«
    »Wie ausgelöst ?«, wiederholte Mamu erstaunt.
    »Ja, wissen Sie denn nicht …? Es kostet Gebühren, bevor der Container aufs Schiff darf.«
    »Die Gebühren für den Lift hat unsere Bank von Berlin aus überwiesen.«
    »Sind Sie ganz sicher? Die Banken ziehen das Geld von Ihrem Konto zwar ein, aber sie überweisen es nicht weiter, diese Betrüger. Man muss vor Ort noch einmal bezahlen. Hat man Sie etwa nicht gewarnt?«
    »Wie viel?«, fragte Mamu erschrocken und blickte auf das Häuflein Münzen in Papas Hand.
    Frau Konitzer folgte ihrem Blick und schien den Atem anzuhalten. Dann sagte sie: »Wir haben Verwandte in Schweden gebeten, an die italienische Bank Geld zu überweisen, wir hätten ja sonst auch nur die dreißig Mark mitnehmen dürfen …«
    »Wie viel wäre es denn gewesen?«, fragte Mamu tonlos.
    »Zweihundert Mark«, sagte Frau Konitzer leise. »Ach, Frau Mangold, dass man Ihnen das nicht gesagt hat …!«
    Genua, den 22.12.1944. Liebe Bekka, wir sind jetzt am Hafen, aber alles geht schief. Onkel Erik ist verschwunden, unser Lift bleibt hier stehen, bis wir 200 Mark auftreiben, und uns lassen sie vielleicht gar nicht erst aufs Schiff, weil uns ein Stempel fehlt. Vielleicht sind wir ja schneller wieder in Berlin als diese Karte …
    Mit der Bemerkung, auf die paar Groschen käme es nun auch nicht mehr an, hatte Mamu mir gestattet, eine Postkarte für Bekka zu kaufen. Wenigstens diese eine Karte sollte sie erhalten, falls wir am nächsten Tag wieder zurückgeschickt wurden!
    Aber nachdem ich den letzten Satz geschrieben hatte, bedauerte ich es sofort, denn danach wurde ich das Gefühl erst recht nicht mehr los, dass es genau so passieren würde: Man würde uns nicht aufs Schiff lassen, wir würden in Genua stranden, wir würden nicht einmal genug Geld haben für die Rückfahrt nach Berlin. Meine Eltern versuchten mir und einander zwar vorzuspielen, es gebe keinen Grund zur Sorge; Mamu überlegte und plante bereits, wie sie es von Shanghai aus schaffen konnte, unseren Lift auszulösen. Unser Besitz sei nicht verloren, behauptete sie, alles sei fest und sicher verpackt, der Container sei wetterfest und könne gut und gern noch ein halbes Jahr hier stehen.
    Und so fort, und so fort. Hielten sie mich für so dumm …? Als ob ich es nicht längst begriffen hatte: Mit ein bisschen Pech gehörten wir ab morgen zu denen, die in den Wartesälen saßen, die nicht zu den Schaltern vorgelassen wurden, die die Freiheit zwar schnuppern, das rettende Ufer aber nicht erreichen konnten.
    Es dauerte einige Minuten, bis ich mich von meinem eigenen letzten Satz auf der Postkarte so weit erholt hatte, dass ich an den untersten Rand quetschen konnte: Aber wenn morgen alles gut geht, bekommst du als Nächstes eine Karte aus Ägypten von Deiner Freundin Ziska.
    Eddy Fichte kannte ein Café in wenig bevorzugter Lage, in dem man stundenlang sitzen konnte, ohne mehr als ein Glas Sprudel zu sich zu nehmen, und dort verbrachten wir zu viert den Tag. Konitzers waren unterwegs, um weitere Besorgungen zu machen. Sie hatten alles viel geschickter eingefädelt als wir; allerdings kannten wir auch niemanden mit einem Konto in Schweden, auf das die Deutschen keinen Zugriff hatten.
    Für Mamu war dies der einzige Trost. Hatte man ihr im Reisebüro wirklich nichts gesagt von dem Betrug mit den Lift-Gebühren oder hatte sie nur nicht richtig zugehört? Ich konnte ihr ansehen, wie die Frage an ihr nagte.
    Eddy Fichte gab sich Mühe, uns aufzuheitern. Er besaß ein zerfleddertes Reclam-Heftchen, das er im Kleiderschrank der Pension gefunden hatte, und trug uns ein Drama von Schiller mit mindestens zehn verstellten Stimmen und so todernster Miene vor, dass selbst Mamu nach einer Weile nicht anders konnte und lachen musste.
    Woher er kam und wen er zurückgelassen hatte, darüber sprach er nur kurz: Seine Eltern und seine Schwester waren noch in

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