Nanking Road
Picciola, und brachte auf einem Tablett das Frühstück. Während wir aßen, blieb sie stehen, um sich zu vergewissern, dass es uns schmeckte. Das Tablett zwischen ihre gekreuzten Arme und den Busen geklemmt, sah sie uns beim Essen zu und gab in regelmäßigen Abständen ein Schnalzen von sich oder schüttelte gewichtig mit dem Kopf, unmissverständliche Zeichen des Mitgefühls für unsere missliche Lage.
Mamu, Papa und ich nickten mit vollen Backen dankbar zurück, aber so froh wir waren, dass man hier nichts gegen jüdische Gäste hatte, so drückend legte sich die Anteilnahme Signora Picciolas nach einigen Minuten auf den Magen. Hinzu kam, dass die anderen Gäste es einer nach dem anderen plötzlich recht eilig hatten zu verschwinden. Nach wenigen Minuten saß nur noch Eddy Fichte mit uns da und machte ein Gesicht, als hätte er Bauchschmerzen.
»Jesus liebt euch«, verkündete Signora Picciola auf einmal zu meiner Überraschung und legte mir eine Hand auf den Rücken.
Ich verschluckte mich fast an meinem Bissen und schielte erschrocken zu ihr auf. »Herr Jesus zuerst gestorben für euch Juden«, verkündete sie. »Jetzt er wartet, dass ihr kommt zu ihm!«
Sie sah mich eindringlich an. »Keine Sorge, das sind ihre einzigen Worte Deutsch«, murmelte Eddy Fichte ärgerlich.
Ich blickte von Signora Picciolas freundlichem Gesicht zu den errötenden Wangen meiner Mutter und flüsterte: »Aber das stimmt doch gar nicht!«
»Sei ruhig, Ziska«, flüsterte meine Mutter zurück und beschäftigte sich eingehend mit ihrem letzten Stück Brot.
»Ratet mal, warum hier immer wieder Zimmer frei werden«, raunte Eddy Fichte.
Signora Picciola rüttelte an meinem Nacken und wiederholte: »Kommt zu Jesus!« Dann ging sie lächelnd mit ihrem Tablett hinaus und warf mir, bevor sie die Tür hinter sich schloss, über die Schulter noch einen letzten bedeutsamen Blick zu, als säße Jesus gleich bei ihr in der Küche.
»Aber bei Jesus waren wir doch schon!«, sagte ich verwirrt.
»Das verstehst du nicht, Ziska«, erklärte meine Mutter und warf Eddy Fichte einen entschuldigenden Blick zu. Der wirkte enttäuscht. »Ach, ihr seid getauft …?«
»Nicht, dass es uns etwas genützt hätte«, antwortete Mamu schroff. »Wir sitzen jetzt alle im selben Boot, Herr Fichte.«
Nachsichtig hob er die Schultern. »Wenn’s nur schon so weit wäre!«
Nach der langen Reise ähnelte Papa seinem eigenen Anzug – verstaubt und zerknittert –, und genauso schlich er neben meiner Mutter durch Genua. Zu Mamus anderer Seite federte Eddy Fichte, einen Daumen im Gürtel, und kickte Steinchen aus dem Weg. Ich trabte hinter ihnen her, als gehörte ich gar nicht dazu, und ärgerte mich, dass er mir einfach den Platz wegnahm. Wenn er uns führen wollte, sollte er vor uns allen herlaufen, oder etwa nicht?
Widerwillig musste ich zugestehen, dass unser Begleiter sich auskannte. Flink lotste er uns kreuz und quer durch die Altstadtgassen, zeigte uns einen berühmten Platz mit einer Kathedrale und einem Brunnen und brachte uns sicher zum Büro des Norddeutschen Lloyd. Wie wir ohne ihn zurück zur Pension finden sollten, war mir ein Rätsel und Mamu wohl auch, denn am Ziel angekommen, fragte sie lächelnd, aber mit zweifelndem Blick in Papas Richtung, ob Eddy Fichte wohl Zeit hatte, auf uns zu warten.
»Das hat er doch schon gesagt«, brummte ich.
Drinnen saßen wir für kurze Zeit in einem überfüllten Warteraum, bevor uns jemand beim Seitenblick auf unseren kleinen Stoß Dokumente zuflüsterte, dass wir gleich zum Kundenschalter vorgehen konnten, weil wir doch offenbar schon eine Passage hätten. Neidvolle Blicke trafen uns, als wir aufstanden. Am Schalter selbst war fast nichts los, flüchtig überflog der Mitarbeiter unsere Papiere. Von einer Fotografie an der Wand in seinem Rücken starrte uns der Fü an, der Schnurrbart gesträubt.
»Wo findet denn die medizinische Untersuchung statt?«, fragte Mamu.
»Gar nicht«, erwiderte der Mann, ohne aufzusehen.
»Aber … uns wurde gesagt …«, begann Mamu nach einer Schrecksekunde von Neuem.
»Es gibt keine medizinische Untersuchung«, wiederholte der Mann gleichgültig, stapelte unsere Dokumente, legte sie ordentlich wieder zusammen und schob sie auf Mamu zu.
Die streckte die Hand aus, zog sie wieder zurück.
»Verdammt!«, sagte der Mann erbost. »Wie oft soll ich es denn noch sagen?«
Hastig ergriff Mamu den kleinen Stoß Papiere und wir traten den Rückzug an. In der Eingangstür des Gebäudes
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