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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Instinktiv registrierte ich, dass die Holztreppe mit einem einzigen Sprung zu erreichen gewesen wäre …
    Uniformierte postierten sich zu beiden Seiten, als wollten sie sagen: »Denkt nicht einmal daran!«
    Wir gingen zurück zur Pension – ohne Eddy Fichte, der in der Menge verschwunden war, um seine Passage zu organisieren. Der Glückliche hatte jetzt wenigstens etwas zu tun. Meine Eltern und ich waren zur Untätigkeit verdammt, lagen auf unseren Betten in dem kleinen Zimmer und konnten uns nicht einmal ausmalen, was nun werden würde.
    Hinzu kam der Hunger. Wir hatten unser Zimmer nur mit Frühstück gebucht; das bisschen Geld, das wir noch besaßen, für eine weitere Mahlzeit auszugeben, wagten meine Eltern nicht, zumal Papa am nächsten Morgen noch einmal telefonieren und sich nach dem Wanderer erkundigen wollte.
    Gegen acht Uhr zogen die verlockenden Düfte des Abendessens, das die anderen Gäste nun einnahmen, durch den Türspalt direkt in unsere leeren Mägen und Mamu schlug vor: »Lasst uns noch einen Spaziergang zum Hafen machen. Bestimmt hat unser Schiff die Lichter eingeschaltet und sieht ganz wunderbar aus!«
    Keiner von uns hatte Lust zum Spazierengehen, erst recht nicht auf ein Wiedersehen mit der Scharnhorst, solange wir nicht wussten, ob wir an Bord gehen durften. Aber der Duft des Essens war nicht auszuhalten.
    Stumm standen wir hinter der streng bewachten Absperrung. Vom Schiff drang Musik, unzählige Lichter funkelten zu uns hinunter.
    »Eine eigene Welt da oben«, sagte Papa müde.
    Signora Picciola trug einen großen Topf in ihre Küche, als wir zurück in die Pension kehrten, und begrüßte uns mit einem freundlichen: »Buonasera.« Wie es aussah, räumte sie, nachdem der letzte Gast aus dem Speiseraum verschwunden war, den Abendbrottisch ab. Und wie es aussah, war der Topf keineswegs leer …
    Ohne zu überlegen, unter den verdutzten Blicken meiner Eltern, trat ich unserer Wirtin in den Weg. »Wir sind gar keine richtigen Juden!«, klärte ich sie auf. »Wir sind nämlich getauft.«
    »Ziska!«, flüsterte Mamu entsetzt.
    »Come?«, fragte Signora Picciola und blieb stehen.
    »Getauft«, wiederholte ich und machte eine Handbewegung, als gieße ich Wasser über mein Haupt. »Jesus!« Dann wies ich auf meine Eltern und mich.
    Signora Picciolas Gesicht hellte sich auf. »Siete battezzati?«, fragte sie erfreut.
    Meiner Mutter blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.
    Eine Minute später saßen wir am Tisch, vor uns drei große Teller Suppe, zwischen uns Signora Picciola, die das Vaterunser sprach, worauf wir uns – wie sie – bekreuzigten.
    »Tut mir einen Gefallen und erwähnt nicht, dass wir evangelisch sind«, sagte Mamu mit strahlendem Lächeln in Richtung unserer Wirtin.
    Ich tauchte meinen Löffel in die Suppe. Erleichtert schloss ich die Augen, während ich fühlte, wie die heiße Flüssigkeit durch meine Speiseröhre rann … geradewegs in Arme und Beine, wie mir schien.
    Erst dann fragte ich: »Warum eigentlich nicht?«
    »Später, Ziska«, erwiderte meine Mutter gedämpft, was nach meiner Erfahrung das letzte Wort war, bevor über ein Thema nie wieder gesprochen wurde.
    Die zweite Nacht in Genua verlief besser. Es gab kein Erdbeben und der Wolf verzichtete auf die Jagd, stattdessen stand er feixend und mit glühenden Augen auf der Schiffstreppe und wollte mich nicht an Bord lassen. Doch meine Sorge war nicht, ob er mich töten würde, sondern wo ich noch einen zweiten Aufgang fand.
    Zumindest im Traum hatte ich also wieder Mut. Ich war fast schon wie früher, vor dem November – kein schlechtes Zeichen, wie ich fand.
    Ich vermisste Eddy Fichte am Frühstückstisch, was nur bedeuten konnte, dass er es tatsächlich geschafft hatte, aufs Schiff zu kommen, aber Mamu beteiligte sich nicht an meinen Spekulationen, sondern ließ den Blick unentwegt vom Teller zur Tür und wieder zurück schweifen. Obwohl sie vehement die Meinung vertreten hatte, wir müssten unter allen Umständen zusammenbleiben, hatte Papa das Frühstück ausfallen lassen, um zu telefonieren.
    Es war mir peinlich, dass sie so laut stritten. Jeder in der Pension musste sie hören! Ich war froh, als Papa endlich ging, selbst wenn Mamu ihm alle Papiere bis auf seine eigenen abgenommen und ihn sogar gezwungen hatte, seinen Koffer mitzunehmen. »Tu, was du willst, dann gehen wir eben ohne dich an Bord!«, hatte sie ihn angeschrien.
    Ich konnte ihr ansehen, wie sehr sie diese Worte bedauerte – jetzt, wo Papa tatsächlich

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