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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Mitternacht an der Reling standen und verstohlen Zwieback ins Wasser bröselten, sah ich zehn Meter weiter zwei Gestalten im Bademantel bei derselben heimlichen Verrichtung. Als sie fertig waren, kamen sie an uns vorbei und kicherten unterdrückt. Es waren zwei Frauen, eine flüsterte: »Wohin mit dem ganzen Papier?«
    »Abfalleimer im Sanitärraum«, raunte Papa, worauf die beiden noch mehr lachen mussten und »Einen schönen Gruß an Ihre Frau« auftrugen.
    Mein Vater wirkte schlagartig belebt. »Die haben völlig Recht«, murmelte er, als die beiden verschwunden waren. »Was können uns die Deutschen denn jetzt noch anhaben?«
    Die Antwort auf diese Frage erhielten wir rasch. Kaum waren wir am nächsten Morgen vom Frühstück zurück, hämmerte es an unsere Kabinentür. Etwas fuhr pfeilschnell meine Beine hinauf und mitten durch den Bauch, wie eine Patronenkugel, dachte ich, ein kleines heißes Stück Blei, das in der Kehle stecken blieb.
    Meine Eltern und ich waren gerade dabei gewesen, unsere Siebensachen für den Vormittag an Deck zusammenzusuchen: Bücher, Schreibzeug, Sonnenhüte und ein Quartettspiel, falls Familie Konitzer zu uns herunterkam. Jetzt erstarrten Mamu und Papa mitten in der Bewegung, Mamu mit der Hand an der Schranktür, Papa im Bücken nach seinen Schuhen. Sie gefroren, als flüchte alles Leben aus ihren Adern.
    Es klopfte ein zweites Mal, noch energischer. Eine Stimme rief: »Jemand da? Aufmachen!«, worauf Papa aus seiner Starre erwachte und den Schlüssel umdrehte.
    Sofort drängten zwei Offiziere in die Kabine. Sie nahmen so viel Platz ein, dass Mamu und ich uns an den Schrank drücken mussten.
    »Heil Hitler! Kabinenkontrolle, Sie wissen ja schon Bescheid. Darf ich?«
    Einer winkte uns, vom Schrank zu verschwinden, und Mamu und ich mussten sitzend übers Kanapee rutschen, um an ihm vorbeizukommen. Stumm sahen wir zu, wie die beiden unsere Kleiderstapel aus dem Schrank hoben, hinter den Ablauf des Waschbeckens fassten, sogar den Kopf aus dem Fenster steckten, als könne es uns gelungen sein, an einer nicht vorhandenen Befestigung Beutel ins Freie zu hängen.
    Natürlich fanden sie nicht den kleinsten Krümel. Aber im Hinausgehen blieb ihr Blick an Mamu hängen, den Schweißperlen auf ihrer Stirn, dem flachen Atem.
    »Wenn Sie doch was versteckt haben, sagen Sie’s lieber gleich!«
    Mamu antwortete leise: »Wir haben nichts versteckt.«
    »Und warum zittern Sie so? Da stimmt doch was nicht.«
    Meine Mutter straffte den Rücken. »Ich zittere, weil mich Ihre Durchsuchung an einen gewissen Abend letzten November erinnert, als auch in unsere Wohnung eingedrungen wurde.«
    Der Offizier schnob durch die Nase. »Eingedrungen …!«, wiederholte er und sah vielsagend zu seinem Kollegen. »Sie möchten ihre Ruhe haben, die Juden. Vielleicht möchten sie ja, damit niemand mehr eindringt, ihre Reise lieber in einem Ruderboot fortsetzen?«
    »Werden wir dann mal vorschlagen«, soufflierte der andere und musterte uns drohend, bevor sie hinausgingen und die Tür hart hinter sich zuschlugen.
    Mischa versicherte, ich brauche keine Angst zu haben: Eine ganze Schrankhälfte in ihrer Kabine stünde leer und dort könne er mich wunderbar verstecken. Meine Eltern würden leider nicht mit hineinpassen, aber wenn sich für sie kein geeignetes Versteck an Bord fände, würden er und seine Eltern für mich sorgen, sobald das Ruderboot ausgesetzt worden war.
    »Es fahren jede Menge Schiffe auf dieser Route! Mit Sicherheit würde sie ganz schnell jemand auflesen.«
    Konnte ich Mischa trauen? Ich hatte keineswegs vergessen, wie er mich hintergangen hatte, aber die Augen hinter seinen Brillengläsern blickten offen und anteilnehmend. Hatte ich überhaupt eine Wahl? Natürlich würden wir Helfer brauchen!
    »Im untersten Fach in der Bibliothek«, sagte ich gedehnt und unterzog Mischa einem weiteren prüfenden Blick, bevor ich fortfuhr: »Hinten links an der Wand stehen die Bücher in zwei Reihen, und wenn man die hintere Reihe herausnimmt und auf die anderen Regale verteilt …«
    Mischas Gesicht hellte sich auf. »Du sprichst von einen Hohlraum?«
    »Zwei Personen könnten sich ohne Probleme lang hinter den Büchern ausstrecken und nachts, wenn die Bibliothek abgeschlossen ist …«
    »… dann kommen sie heraus! Und ich habe tagsüber Zeit, ihnen Essen zu verstecken!«
    Mischa war so entzückt, als könne er sich bereits nichts Schöneres vorstellen, als dass meine Eltern den Rest der Reise hinter

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