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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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aufzulesen, die ihr hinterlassen habt, also werde ich gegen Franz’ Einsatz aus der Ferne keine bösen Worte verlieren. Aber dass es noch schlimmer gekommen ist, als ich befürchtet habe, wirst du nicht bestreiten. Du wirst jetzt wohl sagen, Erik sei selbst schuld, er hätte eben nicht mit in den Bahnhof hineingehen dürfen. Aber was ihm passiert ist, hat woanders angefangen und das weißt du sehr gut.
    Ich weiß nicht, was ich weiter schreiben soll, Margot. Vielleicht in ein paar Wochen, wenn etwas Gras darüber gewachsen ist. Die Frau von eurem Freund E. nimmt mich morgen mit zum Reisebüro, dabei weiß ich nicht einmal, wo Erik ist.
    Euch gute Reise. Deine Ruth.
    Es war einer dieser Briefe, die man ganz gewiss nicht mehrmals lesen muss, um sie nie zu vergessen. Aus Mamus Gesicht war die Farbe gewichen, sie war aus dem Liegestuhl aufgestanden und wortlos zurück in unsere Kabine gegangen. Das war eine halbe Stunde her und nachdem erst Papa, dann ich Tante Ruths bissige Zeilen gelesen hatten, hatte ich erwartet, dass mein Vater Mamu folgte und sie tröstete.
    Aber erst blieb er einfach sitzen und starrte mit hängenden Mundwinkeln in die Gegend, dann war – zu seiner sichtlichen Erleichterung – sein neuer Freund Herr Konitzer aufgetaucht. Seit einigen Tagen verließ Herr Konitzer nämlich seine Kabine, wenngleich er lieber zu uns kam, als sich in der ersten Klasse zu zeigen. Sobald er am Fuß der Treppe stand, nahm er seinen Hut ab, riss ihn sich nahezu vom Kopf und ließ sich Sonne und Wind mit einem Genuss ums stoppelige Haupt wehen, als sei die Luft oben weniger frisch.
    Herr Konitzer und Papa standen mir gegenüber an der Reling und redeten leise über Tante Ruths Brief. Herr Konitzer fand, dass meine Eltern alles richtig gemacht hatten und dass auch Papas Arrangement mit dem Wanderer sehr klug gewesen war. Mit etwas Glück, meinte er, würde uns Onkel Erik in wenigen Monaten folgen und sei außer Gefahr, aber ob wir Tante Ruth mit den kleinen Kindern nachholen sollten, könne man wohl erst einschätzen, wenn man die Situation vor Ort selbst erlebt hatte.
    »Ihre Schwägerin beruhigt sich schon wieder, mein Freund. Ganz gewiss sind nicht Sie und Ihre Frau für ihre Lage verantwortlich, sondern Hitler, verflucht sei sein Name, und die Deutschen, diese feigen Fahnenschwenker!«
    Er spuckte angewidert ins Wasser.
    »Na, zum Glück sind die Deutschen nicht alle so«, erwiderte Papa gedehnt. »Noch bei der Abfahrt am Bahnhof ist ein Mann für uns eingetreten.«
    »Für mich nicht«, erwiderte Herr Konitzer kühl. »Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber von sogenannten anständigen Deutschen will ich nichts hören. Ich weiß selbst, was ich erlebt habe.«
    Papa verstummte. Es war ohnehin ungewohnt still, seit die Motoren ruhten. Ihr Vibrieren steckte nur noch in meinem Bauch und meinen Armen, aber auch dort wurde es allmählich schwächer. Ich hörte kleine Wellen an den Schiffsrumpf schlagen, eine Fliege brummen.
    »Einer von uns geht jetzt am besten mal runter und sieht nach Mamu«, versuchte ich es.
    Doch selbst einem verärgerten Herrn Konitzer gab Papa den Vorzug vor unserer häuslichen Krise. Je weiter wir uns von Europa entfernten, desto weniger konnte man sich auf meine Eltern verlassen.
    Die Scharnhorst lag im Dreimeilenabstand zum Hafen; es hatte sich herumgesprochen, weshalb: In einigen afrikanischen Häfen hatten Einheimische am Kai gestanden und anlegenden deutschen Dampfern »Hitler kaputt!« und »Es leben die Juden!« entgegengebrüllt. Arbeiter hatten sich geweigert, deutsche Schiffe zu beladen, die Offiziere und Besatzungsmitglieder hatten selber Kohle schaufeln müssen.
    Ein Grund zur Freude war das aber nicht, im Gegenteil: Was, wenn die Stimmung an Bord sich gegen uns wandte? Die Atmosphäre war angespannt, während wir in Colombo vor Anker lagen, und auf den Unterdecks konnte man Männer mit Maschinengewehren auf und ab gehen sehen.
    Auch Mamu ging auf und ab, soweit man bei den drei Schritten, die sich in unserer Kabine zurücklegen ließen, überhaupt davon reden konnte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich sie sah. Eine wütende Mutter war mir bedeutend lieber als eine verzweifelte. Mit einer wütenden Mutter war ich vertraut. Ich setzte mich aufs Kanapee und zog die Beine an, um ihr den nötigen Raum zu lassen.
    »Ich will zu ihren Gunsten vermuten, dass sie den Brief im Affekt geschrieben hat und es ihr leid tat, sobald sie ihn eingeworfen hatte!«, schnaubte Mamu. »Am liebsten würde

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