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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Bibliotheksbüchern liegend verbrachten.
    »Wie in aller Welt hast du das so schnell herausgefunden?«, fragte er anerkennend.
    »Ach, das ist mir schon am ersten Tag aufgefallen«, gestand ich.
    »Lass mich raten: Ihr musstet schon mal untertauchen?«
    Ich sah sein erwartungsvolles Gesicht und konnte nicht anders, ich verspürte Stolz. Unterzutauchen war so ziemlich das Aufregendste, was ich mir vorstellen konnte, und dass Mischa es uns zutraute, hob meine Laune ganz erheblich.
    »Meine Freundin Bekka und ich haben einen Plan gezeichnet«, klärte ich ihn auf. »Eine kleine Karte mit unseren besten Verstecken und Fluchtwegen im Viertel, die wir ständig erweitert haben. Bekka trägt sie in ihrem Schuh. Eigentlich sollte der Plan helfen zu verschwinden, wenn die Hitlerjungen hinter uns her waren, aber es gibt Verstecke, in denen man gut und gerne eine längere Zeit unterschlüpfen könnte.«
    »Sag bloß«, staunte Mischa, »du hast so eine Karte auch für dieses Schiff?«
    »Nein, ich habe bloß einen Blick für Verstecke. Wenn irgendwo eins ist, erkenne ich es sofort und merke es mir, ganz egal ob ich es gerade brauche oder nicht.«
    Mischa nickte nachdenklich und es war unschwer zu erkennen, mit welch großem Respekt er mich auf einmal betrachtete. Ein Blick für Verstecke war zweifellos eine brauchbare Fähigkeit, selbst auf dem Weg nach China.
    Wir verloren keine Zeit und begannen sofort alles vorzubereiten. Wir nahmen die hintere Reihe der Bücher aus dem betreffenden Wandregal und sortierten sie in die Lücken der übrigen Regale, mehrere Stapel über die nächsten Tage verteilt, damit es nicht auffiel. Wir klauten einen Putzeimer aus dem Duschraum – schließlich würden meine Eltern auch eine Toilette benötigen – und versteckten ihn bis auf Weiteres in einem der Rettungsboote. Wir sammelten leere Flaschen als Trink- und Waschwasserbehälter. Auf diese Weise vergingen die nächsten Tage wie im Flug.
    Dennoch konnte ich erst wieder richtig durchatmen, als die Küste Britisch-Westindiens in Sicht kam. Unsere Feinde hatten uns vergessen, oder, was noch wahrscheinlicher schien: Es gab gar kein Ruderboot an Bord, das sie entbehren konnten.
    Nicht nur ich war froh, Land zu sehen. Die Passagiere der Scharnhorst drängten so erleichtert zur Reling, als könnten sie nicht abwarten, endlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. In Colombo, wo wir Lebensmittel, Kohlen und Post aufnahmen, war ein Ausflug geplant, und gemeinsam sahen Mischa und ich zu, wie die Teilnehmer unter Geschrei, Gekicher und Geschaukel in einheimische Boote umstiegen, die sie an Land brachten.
    Mischa winkte seiner Mutter. Wir Juden durften, wie sich herausstellte, nämlich nicht mit – die Engländer befürchteten, wir könnten in ihrer Kolonie untertauchen.
    Die Briten schienen gut über uns Bescheid zu wissen. Ich versuchte, den Kopf oben zu behalten und mich nicht anstecken zu lassen von der wachsenden Unruhe, aber es war einfach nicht zu überhören: Die Juden in der Touristenklasse hatten die lange Strecke von Dschibuti nach Colombo vorwiegend dazu genutzt, einander davon zu überzeugen, dass wir mit jedem Tag, der uns vermeintlich dem Ziel näher brachte, in Wirklichkeit nur ein kleines Stück näher an neues Unheil heranrückten. Inzwischen wusste jeder Bescheid. Es gab keinen Ort auf der Welt, der gefährlicher, schmutziger, erbärmlicher, kurz: für uns mitteleuropäische Juden ungeeigneter war als Shanghai, die Stadt über dem Meer.
    Grüne Pillen fanden reißenden Absatz, auch ich musste jetzt jeden Morgen und Abend eine schlucken. Die Pillen stählten angeblich gegen Tropenkrankheiten, die uns sofort angreifen würden, sobald wir auch nur eine Zehenspitze auf chinesischen Boden setzten. Die Tropenkrankheiten hatten allesamt schauderhafte Namen, die man lieber gleich wieder vergaß. Unter anderem spielten Würmer eine Rolle, die dem Mitteleuropäer unter die Haut krochen, dort wuchsen und sich vermehrten und ab und zu den Kopf ins Freie streckten – vorwiegend nachts, wenn man sie nicht sehen und herausziehen konnte.
    »Achte darauf, keine Würmer an dich heranzulassen«, riet Mischa. »Sonst könnt ihr nicht nach Amerika, wenn eure Quote aufgerufen wird, und müsst für immer in Shanghai bleiben.«
    »Woran erkenne ich sie denn?«, fragte ich nervös und spürte bereits, wie sich unter meiner Haut etwas bewegte, das nicht dorthin gehörte.
    »Gar nicht, das ist ja das Fiese! Sie sind winzig klein und schwimmen im

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