Nanking Road
Wichtigste war, das ich je geschrieben hatte.
Ich drehte mich wieder um und strahlte Mischa an. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment vom Boden abheben und eine kleine Runde über das Schiff drehen zu können.
»Na also«, sagte er ernst. »Jetzt brauchst du nur noch die Kabinennummer und dann gibst du den Leuten den Zettel.«
»Ach, die hab ich doch schon!«, freute ich mich. »Kommst du mit oder willst du warten?«
»Ich komme natürlich mit«, erklärte Mischa.
Wir machten einen Umweg an dem Schalter vorbei, an dem man Telegramme und Briefe aufgeben konnte, nur für den Fall, dass Mr Tatler zufällig dort anstand; vorsichtshalber schauten wir im Vorübergehen auch in die Bibliothek und den Sportraum. Aber Tatlers waren tatsächlich noch in ihrer Kabine. Auf mein Klopfen öffnete Mr Tatler die Tür und kam kaum dazu, ein überraschtes: »It’s Ziska!« auszurufen, da hatte ich ihm schon mein Blatt Papier in die Hand gedrückt.
»Friend«, sagte ich und errötete so heiß, dass ich fast in Flammen aufging.
Mr Tatler warf einen einzigen Blick auf den Zettel, Rebekka Liebich, 11 years, und verstand sofort. »All right«, sagte er langsam, und: »Don’t worry.«
Was, wie Mischa mir auf dem Rückweg übersetzte, nichts anderes bedeutete, als dass ich mir um meine Freundin Bekka keine Sorgen mehr zu machen brauchte.
Ferdinand de Lesseps winkte uns persönlich in den Suez-Kanal. Die in Stein gehauene Statue des Kanalerbauers stand mitten in der Hafeneinfahrt, eine Hand einladend zum Kanal hin ausgestreckt, und einlaufende Schiffe verständigten sich mit ohrenbetäubenden Signalen. Auf allen Decks standen Passagiere, winkten und fotografierten. Ich schlüpfte zwischen Erwachsenen hindurch, um etwas sehen zu können, jemand rief sogar: »Lasst mal die Kleine vor!« Wahrscheinlich wusste er nicht, dass ich auf die andere Seite gehörte.
Am Ufer leuchteten inmitten von Palmen, blühenden Büschen und Sträuchern die prachtvollen Fassaden reicher Häuser – Ägypten verdiente gut an den vielen Schiffen, die Durchfahrt durch den Kanal begehrten –, und gleich nachdem wir zum Stehen gekommen waren, begann das Wasser zu Füßen der Scharnhorst zu brodeln wie ein überfüllter Fischteich. Zwischen Frachtkähnen mit Kohlen und Lebensmitteln, die seitlich an den Ladeluken anlegten, fuhren Einheimische ihre mit Obst, Stoffen und Kunstgewerbe beladenen kleinen Boote dicht an uns heran und priesen lautstark ihre Waren feil. Hände, Arme, Schultern behängt mit Stoffen, Teppichen und Körbchen, standen sie breitbeinig auf den wackligen Planken ihrer Gefährte und hatten Mühe, einander zu überschreien. »Orange, buy orange, lecker, lecker, lecker! Carpet, beautiful carpet!«
Treffsicher warfen sie Körbe hinauf, an denen lange Leinen hingen. Ich hörte das Gelächter der Passagiere auf dem Promenadendeck, die die Körbe auffingen und wieder hinunterließen. Mit lautem Durcheinanderrufen verständigten sich Käufer und Verkäufer, welche Waren nach oben geschickt werden sollten. Orangen, Bananen, zu Päckchen gefaltete Teppiche und orientalische Gewänder ruckelten wie in kleinen Aufzügen an mir vorbei, und wenn der Kauf zustande kam, ging der jeweilige Korb, mit Münzen oder Scheinen gefüllt, auf die Reise nach unten.
Es war für alle Beteiligten ein Heidenspaß und auch ich lachte aus voller Kehle. Dass es in Wirklichkeit ein Schreien vor Glück war, konnte ja niemand wissen. Höchstens Mischa, aber der war wieder nach oben gegangen, als wir uns dem Hafen näherten, da man vom Promenadendeck, wie er sich entschuldigte, einfach bessere Sicht hatte.
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, mich bei ihm bedanken zu müssen, wusste aber nicht recht wofür, und hatte ihn lediglich gebeten, niemandem zu verraten, dass ich Mr Tatler Bekkas Namen gegeben hatte.
»Ich sage nichts«, beteuerte er. »Aber woher weißt du, dass er selbst den Mund hält?«
Darauf konnte ich nur von ganzem Herzen hoffen. Bei der Vorstellung, Mr Tatler könne beim Abendessen ganz unbefangen darüber zu plaudern beginnen, breitete sich in meinem Magen plötzlich ein unangenehmer Druck aus. Es bestand wenig Grund zu der Annahme, dass Papa es nicht sofort für Mamu übersetzen würde.
Unwillkürlich begann ich mich umzusehen, ob ich die beiden Tatlers zufällig in der Nähe entdeckte, aber an der Reling rechts und links von mir lehnten sie nicht und hinter mir drängten sich zu viele Erwachsene, um einen Blick an Deck werfen zu können.
»Nicht so
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