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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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ich ihn in einen Umschlag stecken und einfach zurückschicken!«
    »In Singapur geht noch mal Post«, bemerkte ich hilfsbereit.
    » Euch gute Reise! Nichts als unser nacktes Leben haben wir gerettet, als ob sie das nicht wüsste! Das Einzige, was wir noch besitzen, ist unser verdammtes Auto, und das haben wir Erik überschrieben. Am besten frage ich sie mal, ob das die Scherben sein sollen, die wir hinterlassen haben!«
    »Ich glaube, das ist anders gemeint«, begann ich, aber Mamu hörte mir gar nicht zu.
    »Sobald wir da drüben angekommen sind«, schwor sie grimmig, »werden wir uns alle drei am Riemen reißen und nicht eher ruhen, bis wir diese undankbare Person mitsamt ihren Launen und Tiraden und ihren Nervensägen von Kleinkindern zu uns rübergeholt haben. Und sei es nur, damit ich ihr diesen Brief um die Ohren schlage!«
    Mamu gefiel mir immer besser. Langsam fühlte ich mich geradezu zu Hause. »Tante Ruth hat ziemlich viel Pech«, bemerkte ich. »Wahrscheinlich ist sie die Erste von uns, die diese Würmer bekommt.«
    »Das schadet nichts«, brummte Mamu. »Die Würmer werden es bei ihr nicht lange aushalten.«
    Sie nahm einige Kleidungsstücke aus dem Schrank, schüttelte sie so heftig, als könnte Tante Ruth dazwischen herausfallen, roch daran und verzog das Gesicht. Die hohe Luftfeuchtigkeit ließ alles, was sich in unserer Kabine befand, muffeln und meine Mutter hängte unsere Sachen regelmäßig zum Lüften ins Bullauge. Ölgeruch schlägt Schimmelmief, meinte sie.
    »Mamu«, fragte ich, »wird es in Shanghai wirklich so schlimm, wie alle sagen?«
    »Nein, mein Schatz«, erklärte sie zu meiner Überraschung. »Wie könnte es dort schlimm werden? Shanghai ist uns jetzt näher als alle anderen Länder in Europa, denn die wollen uns in der Stunde der Not nicht helfen.«
    »Aber alle sagen doch …«
    »Keiner von denen, die da draußen das große Wort führen, war je persönlich in Shanghai. Wir sind bis hierher gekommen, was keineswegs leicht war, also schaffen wir auch den Rest. Dieses Gejammer will ich nicht mehr hören, Ziska!«
    Einen Augenblick war ich sprachlos vor Empörung. Ich war die Einzige von uns, die in den ganzen drei Wochen seit unserer Abreise noch nicht ein Mal gejammert hatte!
    Aber die Erleichterung gewann schnell die Oberhand. Wenn Mamu anfing, sich ihrer Spezialdisziplin zu besinnen – dem Verdrehen von Worten und Tatsachen zu ihren Gunsten –, dann musste man sich keine Sorgen mehr machen, dann ging es endlich wieder aufwärts mit unserer Familie.
    Noch am selben Abend verließen wir Colombo und nahmen Kurs auf Singapur, und als die Lichter der Küstenstadt in der Dunkelheit verschwammen, breitete sich eine Stille auf dem Schiff aus, die man fast mit Händen greifen konnte. Der größte Teil der Reise lag jetzt hinter uns; von nun an konnte man die Tage rückwärts zählen.

8
    Wir umrundeten die Welt. Wir merkten es daran, dass es, kaum hatten wir uns an die Sommerhitze gewöhnt, mit einem Mal wieder kühler wurde, bis wir im Südchinesischen Meer schließlich wieder unsere Mäntel brauchten und dazu übergingen, statt im Liegestuhl an Deck in den Aufenthaltsräumen und der Bibliothek zu sitzen.
    »Was ist denn das für ein Durcheinander?«, beschwerte sich Riekchens Tante und brachte Stunden damit zu, falsch eingeordnete Bücher aufzuspüren und wieder an ihren Platz zu stellen. »Man könnte meinen, jemand habe sich einen Scherz erlaubt!«
    »Vielleicht hatte jemand keine Ahnung«, sagte Riekchen bissig.
    Nicht dass ich sie sehen konnte – wir richteten es so ein, dass immer ein Regal zwischen unseren Leseplätzen stand. War kein Platz frei, an dem der einen der Anblick der anderen erspart blieb, ging diejenige, die später kam, einfach wieder hinaus. Ich fand es beachtenswert, dass Leute, die einander auf den Tod nicht ausstehen konnten, sich ganz ohne Worte offenbar ebenso problemlos verständigen konnten wie beste Freunde.
    Es war Mischa, der mich darauf aufmerksam machte, dass sich die Farbe des Wassers veränderte. Ich sah ihn nicht mehr so häufig wie zu Beginn unserer Reise, da er sich mit einem Jungen in der ersten Klasse angefreundet hatte – einem gewissen Rainer, der froh war, dass er jemanden zum Schachspielen gefunden hatte, egal ob arisch oder nicht.
    »Bring ihn doch mal mit herunter!«, schlug ich vor, aber Mischa hob nur die Schultern und ließ seinen Blick andeutungsweise über unser Deck schweifen. Was gibt es hier schon Besonderes?, hieß das wohl.
    Mir

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