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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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sich laute, zornige Männerstimmen direkt vor dem Haus, sodass ich erschrocken auf und zum Fenster sprang. Im Eingang gegenüber rauften zwei Obdachlose um ein geschütztes Plätzchen für ihre Bambusmatten, neblige, schemenhafte Gestalten im Regen, der wie ein Wasserfall von der Dachkante über meinem Fenster prasselte. Ich sah die beiden kämpfen und war froh, dass unsere Fenster, wie die der meisten Häuser in Shanghai, vergittert waren.
    »Nicht, dass die Einbrecher nicht trotzdem an unsere Sachen herankommen«, hatte Herr Fränkel gewarnt. Mit eigenen Augen hatte er beobachtet, wie am helllichten Tag ein Chinese auf eine Leiter gestiegen war und mit einem Eisendraht durchs Gitter eines offenen Fensters gefischt hatte! Herr Fränkel schärfte uns ein, unsere Fenster stets geschlossen zu halten, wenn wir uns nicht unmittelbar daneben aufhielten.
    Ob Einbrecher bis zum zweiten Stock kletterten? Hangelten sie sich gar übers Dach …? Die Terrasse direkt über mir verlor jäh allen Reiz und ich riss mit klopfendem Herzen das Fenster auf. Regen trommelte in mein Gesicht, während ich Abstand und Überstand der Dachkante überprüfte und mich ängstlich vergewisserte, dass mich nicht etwa schon ein Dieb kopfüber angrinste.
    Zum Glück war es auf dem Dach dunkel und still, nur in der Wohnung unter uns brannte noch Licht und jemand paffte auf dem überdachten Balkon eine Zigarette. Nach dem Abendessen hatten Fränkels wieder gestritten, nun zog ihr Schweigen zu mir hinauf, ein Rauch, der nichts von Friedenspfeife hatte. Herr Fränkel war ein kräftiger kleiner Mann, der seinen Lebensunterhalt mit einem eigenen Taxi verdiente. Sein Taxi war ein echter Opel, keine Rikscha, und bescheiden ließ er durchblicken, dass er nicht schlecht damit verdiente.
    Im Zimmer nebenan hörte ich meine Eltern reden und leise lachen. Aufwärts ginge es mit uns zwar noch nicht, hatte Mamu zu Tante Irma gesagt, aber immerhin wieder vorwärts und das sei doch auch schon was.
    Ihr Lachen ermutigte mich. Eigentlich musste ich Onkel Victor dankbar sein. Onkel Victor war es gewesen, der Mamu darauf gebracht hatte, dass ihr Ungeschick mit Nadel und Faden womöglich damit zusammenhing, dass sie eine Brille brauchte. Eine neue Arbeit würde sich leichter finden als eine erschwingliche Brille, behauptete sie, hatte ihre »Lehre« unverzüglich abgebrochen und seitdem besserte sich ihre Laune beinahe stündlich.
    »Morgen ziehen wir los und suchen mir eine neue Arbeit, Ziskele«, hatte sie beim Auspacken zu mir gesagt.
    »Wir?«, wiederholte ich erfreut.
    »Ja, natürlich. Erstens sprichst du schon etwas Englisch, ganz im Gegensatz zu mir, und zweitens sollen die Leute ruhig wissen, dass ich ein Kind zu versorgen habe.«
    »Soll ich ein Hemd von Papa anziehen, damit ich verhungerter aussehe?«, bot ich an, aber Mamu meinte mit einem Anflug von Traurigkeit: »Wir sehen alle drei schlecht genug aus, das wird schon reichen.«
    Konitzers hatten den Shanghai Jewish Chronicle mitgebracht, eine zweisprachige dünne Zeitung, die auch Stellenanzeigen enthielt; Tante Irma hatte sich sogar die Mühe gemacht, die für uns infrage kommenden Annoncen einzukringeln. Allerdings befanden sich nur wenige Kringel in dem Blatt, denn unter den meisten Angeboten stand der unmissverständliche Zusatz: No refugees.
    »Geht das auch hier los?«, hatte Papa erschüttert ausgerufen.
    Onkel Victor erwiderte: »Wir sind einfach zu viele. Die jüdische Gemeinde Shanghai fürchtet, dass sich die Stimmung gegen uns wenden könnte. Sie hat beim Joint in Amerika darum ersucht, die Auswanderung nach Shanghai nicht weiter zu ermutigen.«
    »Dann hat die jüdische Gemeinde Shanghai noch immer keine Ahnung, was in Deutschland und Österreich los ist!«, rief Mamu.
    »Doch, aber sie wird mit dem Problem alleingelassen. Immerhin hat der Joint zugesagt, die finanzielle Unterstützung zu erhöhen. Alles hier nachzulesen«, sagte Onkel Victor und klopfte auf den kleinen Stapel Zeitungen.
    Papa vertiefte sich darin, gleich nachdem Konitzers gegangen waren. Ich sah, wie seine Stirn sich umwölkte, während er las, aber ich fragte nicht nach, ich hatte keine Lust, mir den ersten Abend in der neuen Wohnung durch neue Sorgen verderben zu lassen.
    Den ersten Abend, die erste Nacht, die ersten Stunden eines neuen Anfangs! Mit kalten Füßen kroch ich zurück ins Bett, lauschte dem Regen und beschloss, dass von nun an alles gut werden würde.
    Als ich das nächste Mal aus dem Fenster sah, hatte sich

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