Nanking Road
überquerten die nächste Kreuzung im selben Augenblick, als der Kuli und ich an ihnen vorbeitrabten, und mich in meiner Rikscha zu sehen, den Regenschirm aufgespannt, löste einen Heiterkeitsausbruch unter ihnen aus.
Am liebsten hätte ich ihnen zugerufen, dass es nicht meine Idee gewesen war, doch dazu kam ich nicht. Schon waren zwei Jungen aufgesprungen und quetschten sich links und rechts von mir in den schmalen Sitz. Sie saßen mir praktisch auf dem Schoß.
»Na, vielen Dank, da sagen wir doch nicht nein, was, Kurt?«
Der Kuli blieb stehen, drehte sich um und ließ einen Wortschwall auf uns los. Mamu behauptete, es sei unmöglich, chinesischen Gesichtern eine Gemütsregung abzulesen, und nicht nur aus diesem Grund hätte ich gewünscht, sie wäre bei mir gewesen, denn darüber, dass der Mann äußerst aufgebracht war, konnte keinerlei Zweifel bestehen. Schließlich fand er sich damit ab, dass niemand verstand, was er sagte, und trabte ärgerlich, aber schicksalsergeben wieder los.
Ich wusste nicht, ob ich mich für die beiden Jungen schämen oder froh sein sollte, nicht mehr allein fahren zu müssen. Eingequetscht wie das Gürkchen in der Butterstulle, saß ich halb zwischen, halb unter meinen beiden unverhofften Begleitern, die den Schirm, den ich immer noch krampfhaft über mich hielt, ungestüm auf ihre jeweilige Seite zu zerren versuchten und mich dabei knufften und stießen, als wäre ich gar nicht da. Ich knuffte nach rechts und links zurück und versuchte den Schirm zu schließen, aber das ließen sie nicht zu.
Der Weg bis zur Tramhaltestelle war mir nie weiter vorgekommen – besonders als mir einfiel, dass der Kuli bestimmt eine Nachzahlung für die zusätzlichen Passagiere fordern würde. Natürlich hatte ich kein Geld dabei, außer den paar Münzen für die Straßenbahn, und ganz gewiss hatte ich diese beiden Rüpel auch nicht eingeladen – aber wie in aller Welt sollte ich dem Chinesen das klarmachen? Ich war seine Kundin, die anderen waren bloß aufgesprungen, also würde zweifellos ich diejenige sein, die verantwortlich gemacht wurde.
Am liebsten hätte ich mich während der Fahrt von der Rikscha gestürzt und aus dem Staub gemacht, aber die Burschen waren einfach zu schwer.
In der Zwischenzeit waren unsere Mitschüler an der Kreuzung unmittelbar vor der Garden Bridge angekommen und als sie uns von hinten aufschließen sahen, begannen sie zu meinem neuerlichen Schrecken nicht nur zu johlen, sondern so schnell zu laufen, wie das knöcheltiefe Wasser es zuließ. Was sollte das nun schon wieder bedeuten? Der Kuli schien sich das ebenfalls zu fragen, denn auch er wurde merklich schneller und bemühte sich, an der Bande vorbei zu kommen, lautstark angefeuert von den beiden Jungen an meiner Seite.
Womöglich hätte er die Verfolger trotz der Steigung auf der Brücke sogar hinter sich gelassen – wenn, ja wenn er nicht vor dem Japaner hätte anhalten und buckeln müssen. Unwirsch winkte ihn der Posten durch, aber zu spät, eine Traube von Kindern umringte uns.
»Jetzt ist es genug, jetzt sind wir dran, los, raus!«
Hände rissen an meinem Arm, jemand kreischte … und plötzlich geriet die Welt in Bewegung, Häuserzeilen schossen jäh nach unten aus dem Blick, an meinen eigenen Füßen vorbei guckte ich entgeistert in den grauen Himmel.
Wenigstens hatten die anderen bis zur nicht überschwemmten Brückenmitte gewartet, um sich von hinten an die Rikscha zu hängen. Ich fand, der Kuli und ich waren noch halbwegs glimpflich davongekommen. Dass er mich anschrie, überraschte mich trotzdem nicht, schließlich war ich die Einzige, die noch da war. Alle übrigen hatten das Weite gesucht und warteten feixend am Ende der Brücke ab, was passierte.
Der Kuli schrie, ihm standen Tränen in den Augen. Erst jetzt erkannte ich, dass er schon ein älterer Mann war. Weiße Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht, Rippen und Wangenknochen standen hervor wie Bergketten, seine Schultern waren von Schrammen und blauen Flecken übersät. Etwas Spucke traf mich, als er vor mir tobte; unwillkürlich wich ich zurück, bis sich das Brückengeländer in meinen Rücken bohrte. Ich war zu entsetzt, um zu heulen.
Binnen Sekunden war der Japaner bei uns. Er packte den schreienden Kuli im Nacken, schleuderte ihn mit einer mühelosen Bewegung auf die Straße und trat mit seinen dicken Stiefeln auf ihn ein. Abgehackte, zornige Laute sprangen aus seinem Mund, wie Pfeile flogen sie auf den Chinesen hinab.
Andere Fußgänger
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