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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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kümmerst?« Midori sah mir mit todernstem Blick in die Augen.
    »Naja, nicht ganz so«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich wußte ja nicht, was er meint…«
    »Schon gut, ich wollte dich nur ein bißchen aufziehen.« Midori lachte. »Du bist wirklich süß.«
    Wir tranken unseren Kaffee aus und gingen zurück ins Krankenzimmer, wo ihr Vater noch immer fest schlief. Ging man nah an ihn heran, konnte man seine schwachen, regelmäßigen Atemzüge hören. Der Nachmittag verging, und das Licht vor dem Fenster nahm eine milde, herbstliche Tönung an, die alle Farben weicher erscheinen ließ. Ein Schwarm Vögel ließ sich auf einem der Stromkabel nieder, um gleich wieder davonzufliegen. Midori und ich setzten uns nebeneinander in eine Ecke des Zimmers und unterhielten uns leise. Sie las mir aus der Hand: ich würde hundertfünf Jahre alt werden, dreimal heiraten und bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen. Kein schlechtes Leben, fand ich.
    Als ihr Vater gegen vier aufwachte, setzte Midori sich zu ihm, wischte ihm den Schweiß ab, gab ihm zu trinken und erkundigte sich nach seinen Kopfschmerzen. Die Krankenschwester kam, maß seine Temperatur, notierte, wie oft er Wasser gelassen hatte, und kontrollierte den Tropf. Ich saß derweil auf dem Sofa im Fernsehzimmer und guckte ein bißchen Fußball.
    »Allmählich wird es Zeit für mich«, sagte ich gegen fünf zu Midori. »Ich muß jetzt zur Arbeit«, erklärte ich ihrem Vater. »Von sechs bis halb elf verkaufe ich Schallplatten in einem Geschäft in Shinjuku.«
    Er sah mich an und nickte.
    »Du, Tōru? Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll, aber vielen Dank für das, was du heute getan hast«, sagte Midori, als wir uns in der Eingangshalle verabschiedeten.
    »Ich hab doch gar nicht viel getan. Aber wenn es dir hilft, komme ich nächste Woche wieder mit. Ich würde deinen Vater gern wiedersehen.«
    »Wirklich?«
    »Im Wohnheim ist nichts los, und hier kriege ich wenigstens Gurken.«
    Midori verschränkte die Arme und tappte mit dem Absatz auf den Linoleumboden.
    »Und ich würde gern wieder mit dir einen trinken gehen«, sagte sie und legte den Kopf ein bißchen zur Seite.
    »Und was ist mit dem Pornofilm?«
    »Nach dem Film betrinken wir uns«, sagte sie. »Und reden wie üblich Schweinkram.«
    »Das bin nicht ich. Du machst das«, protestierte ich.
    »Egal, wir reden über so was und betrinken uns dabei, und dann schlafen wir zusammen.«
    »Ich kann mir genau vorstellen, was dann passiert«, sagte ich mit einem Seufzer. »Wenn ich gerade in Fahrt komme, läßt du mich nicht, stimmt’s?«
    Sie kicherte.
    »Na ja, hol mich jedenfalls am kommenden Sonntagmorgen wieder ab. Dann fahren wir zusammen her.«
    »Soll ich einen etwas längeren Rock anziehen?«
    »Gute Idee.«
    Es kam jedoch am folgenden Sonntag nicht dazu, daß wir ins Krankenhaus gingen. Midoris Vater starb am frühen Freitagmorgen.
    Sie rief mich morgens um halb sieben an, um mir seinen Tod mitzuteilen. Als der Summer in meinem Zimmer mir anzeigte, daß ich einen Anruf hatte, zog ich mir eine Jacke über den Schlafanzug und ging runter ans Telefon. Draußen fiel lautlos ein kalter Regen. »Mein Vater ist gerade gestorben«, sagte Midori mit leiser, gefaßter Stimme. Ich fragte sie, ob ich etwas für sie tun könne.
    »Danke, es geht schon. Wir sind an Beerdigungen gewöhnt. Ich wollte es dir nur sagen.«
    Ein kleines Seufzen war zu hören.
    »Und bitte, komm nicht zur Beerdigung. Ich hasse so was. Ich möchte dich da nicht sehen.«
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Gehst du wirklich mit mir in einen Pornofilm?«
    »Natürlich.«
    »In einen ganz säuischen?«
    »Ich werde mich kundig machen.«
    »Gut, ich melde mich wieder.« Sie legte auf.
    Nach einer Woche hatte sie sich noch immer nicht gemeldet. An der Uni hatte ich sie nicht gesehen, angerufen hatte sie auch nicht. Immer wenn ich ins Wohnheim zurückkam, hoffte ich, eine Nachricht von ihr vorzufinden, aber nie hatte jemand für mich angerufen. Eines Abends versuchte ich mein Versprechen zu halten und beim Masturbieren an sie zu denken, aber es klappte nicht. Ich wechselte zu Naoko, aber auch ihr Bild wollte nicht helfen. Schließlich kam ich mir so lächerlich vor, daß ich es aufgab und statt dessen einen Whiskey trank, mir die Zähne putzte und schlafen ging.
    Am Sonntagmorgen schrieb ich Naoko einen Brief, in dem ich ihr von Midoris Vater erzählte.
    »Ich habe den Vater einer Kommilitonin im Krankenhaus besucht und dort Gurken gegessen. Als er hörte, wie

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