Naokos Laecheln
Sprachen liegen mir auch. Französisch habe ich mir selbst beigebracht, und ich bin fast perfekt. Es ist wie ein Spiel. Kennt man die Regeln einer Sprache, hat man auch die der anderen intus. Das ist wie mit den Frauen.«
»Eine ziemlich ichbezogene Lebensweise«, sagte ich.
»Wollen wir nicht mal zusammen essen gehen?«
»Du meinst, Mädchen aufreißen?«
»Nein, richtig gut essen gehen. Du, Hatsumi und ich, um meine Prüfung zu feiern. In ein teures Restaurant – mein Vater spendiert nämlich.«
»Würdest du nicht lieber mit Hatsumi allein gehen?«
»Mit dir würde es mir mehr Spaß machen. Und Hatsumi auch.«
O nein, dachte ich. Die Geschichte mit Kizuki, Naoko und mir wiederholt sich.
»Danach übernachte ich dann bei Hatsumi. Aber essen können wir doch zu dritt.«
»Gut, wenn ihr beide mich wirklich dabeihaben wollt. Aber sag mal, Nagasawa, was wird das eigentlich mit dir und Hatsumi? Nach der Ausbildung gehst du ins Ausland und bleibst wahrscheinlich jahrelang weg. Was passiert dann mit ihr?«
»Das ist Hatsumis Problem, nicht meines.«
»Kapiere ich nicht.«
Die Füße auf dem Schreibtisch, trank Nagasawa sein Bier und gähnte.
»Nun, ich habe nicht vor zu heiraten, das habe ich Hatsumi deutlich gesagt. Wenn sie also jemand anderen heiraten möchte, kann sie das jederzeit tun. Ich hindere sie nicht daran. Wenn sie lieber auf mich warten will, soll sie’s eben tun. Das habe ich gemeint.«
»Ach so«, sagte ich etwas bestürzt.
»Du findest das unanständig von mir?«
»Ja.«
»Die Welt an sich ist eben ungerecht. Dafür kann ich nichts, sie war schon immer so. Ich habe Hatsumi nie etwas vorgemacht, sondern ihr immer klar und deutlich gesagt, daß ich ein Schwein bin und sie mich jederzeit verlassen kann, wenn es ihr reicht.«
Nagasawa trank sein Bier aus und zündete sich eine Zigarette an.
»Gibt es denn gar nichts in deinem Leben, was dir angst macht?« fragte ich ihn.
»So blöd bin ich nun auch wieder nicht«, erwiderte er. »Natürlich beängstigt mich mein Leben manchmal. Aber ich nehme diese Angst nicht als ein Naturgesetz oder als Gegebenheit hin. Ich will mein Leben leben, indem ich meine Energie zu hundert Prozent einbringe und so weit komme, wie ich nur kann. Ich nehme mir alles, was ich will, und lasse fallen, was ich nicht will. Wenn etwas schief geht, werde ich es neu überdenken. Wenn du’s dir recht überlegst, ermöglicht eine ungerechte Gesellschaft es dir, deine Fähigkeiten voll auszuschöpfen.«
»Ziemlich egozentrisch, oder?« sagte ich.
»Vielleicht, aber ich gucke nicht bloß in die Luft und warte darauf, daß mir die gebratenen Tauben ins Maul fliegen. Auf meine Art arbeite ich ziemlich hart. Zehnmal härter als du.«
»Das stimmt wahrscheinlich.«
»Wenn ich mich so umschaue, könnte ich manchmal kotzen. Warum unternehmen diese Idioten denn bloß nichts? Sie tun keinen Streich, aber dann meckern sie.«
Entgeistert starrte ich Nagasawa an. »Ich habe eigentlich den Eindruck, daß die meisten Leute auf der Welt durchaus hart arbeiten. Oder sehe ich das völlig falsch?«
»Das ist nicht Arbeiten, nur Schufterei«, sagte Nagasawa. »Die harte Arbeit, die ich meine, ist viel selbstbestimmter und zielgerichteter.«
»Wie zum Beispiel Spanisch zu lernen, nachdem man die Zeit, in der man sich bewirbt, erfolgreich hinter sich gebracht hat und alle anderen Ferien machen? Meinst du das?«
»Genau. Bis zum Frühjahr werde ich fließend spanisch sprechen. Englisch, Deutsch und Französisch habe ich schon abgehakt, beim Italienischen bin ich nah dran. Glaubst du vielleicht, so etwas geht ohne harte Arbeit?«
Nagasawa rauchte, und ich dachte an Midoris Vater. Der hatte wahrscheinlich nie auch nur im Traum daran gedacht, im Fernsehen Spanisch zu lernen. Und vermutlich hatte er auch nie über den Unterschied zwischen Arbeit und Schufterei nachgedacht. Dazu war er zu beschäftigt gewesen, mit Geldverdienen und damit, eine Tochter heimzuholen, die nach Fukushima davongelaufen war.
»Um auf unser Essen zurückzukommen, paßt es dir am nächsten Samstag?« fragte Nagasawa.
»Einverstanden.«
Nagasawa hatte ein schickes französisches Restaurant in einer Seitenstraße von Azabu gewählt. Am Eingang nannte er seinen Namen, und wir wurden in ein Separée geleitet. An den Wänden des kleinen Raumes hingen etwa fünfzehn Drucke. Während wir auf Hatsumi warteten, tranken wir einen köstlichen Wein und unterhielten uns über die Romane von Joseph Conrad. Nagasawa trug einen
Weitere Kostenlose Bücher