Naokos Laecheln
sich noch zu amüsieren, aber nach einer Weile wurde es sogar ihr zu eintönig, und sie wollte gehen. Als wir ins Freie traten, holte ich erst einmal tief Atem. Noch nie war mir die Luft in Shinjuku frisch vorgekommen.
»Das hat Spaß gemacht«, sagte Midori. »Da gehen wir nächstes Mal wieder hin.«
»Aber die machen doch immer dasselbe«, wandte ich ein.
»Was bleibt ihnen denn anderes übrig? Wir machen doch auch immer dasselbe.«
So gesehen, hatte sie nicht ganz unrecht.
Wir suchten uns eine Bar, um noch etwas zu trinken. Ich nahm einen Whiskey Soda, und Midori trank drei oder vier nicht näher bestimmbare bunte Cocktails. Als wir wieder draußen waren, wollte Midori auf einen Baum klettern.
»Hier gibt es keine Bäume, außerdem bist du sowieso viel zu wacklig auf den Beinen«, sagte ich.
»Du bist immer so vernünftig, ein echter Spielverderber. Ich bin blau, weil ich blau sein will. Was ist daran schlimm? Auch in betrunkenem Zustand kann ich auf einen Baum klettern. Auf einen ganz, ganz hohen, und dann pinkle ich auf alle runter.«
»Du mußt nicht zufällig auf die Toilette?«
»Doch.«
Ich brachte sie zu einer Münztoilette im Bahnhof Shinjuku, warf das Geld ein und schickte sie hinein. An einem Kiosk kaufte ich mir eine Abendzeitung und las darin, während ich auf Midori wartete. Aber als sie nach fünfzehn Minuten nicht zurück war, begann ich mir Sorgen zu machen und wollte gerade nach ihr sehen, als sie mit ziemlich blassem Gesicht herauskam.
»Tut mir leid, ich bin im Sitzen eingeschlafen.«
»Wie geht’s dir?«
»Nicht so gut.«
»Ich bring dich heim. Zu Hause nimmst du ein schönes heißes Bad und legst dich hin. Du bist erschöpft.«
»Ich will nicht nach Hause. Da ist niemand. Ich will nicht allein da schlafen.«
»Ach herrje«, sagte ich. »Was sollen wir also machen?«
»Wir gehen in eine Absteige, und ich schlafe in deinem Arm. Bis zum Morgen, ganz fest. Dann frühstücken wir hier irgendwo und gehen zur Uni.«
»Das hattest wohl von Anfang an vor, als du mich angerufen hast, oder?«
»Na klar.«
»Dann hättest du nicht mich, sondern deinen Freund anrufen sollen. Das wäre das Normale gewesen. Für so was ist dein Freund zuständig.«
»Aber ich will mit dir zusammen sein.«
»Das geht nicht«, sagte ich unverblümt. »Erstens muß ich um zwölf wieder im Wohnheim sein, sonst überschreite ich die Sperrstunde. Wegen so was hatte ich schon mal unheimlichen Ärger. Zweitens will ich mit einer Frau schlafen, wenn ich schon mit ihr im Bett liege, und nicht die ganze Zeit daliegen und mich beherrschen. Vielleicht mache ich dann irgendeinen Blödsinn.«
»Mich fesseln und von hinten über mich herfallen?«
»Ich meine es ernst.«
»Aber ich fühle mich so allein. Total verlassen. Ich weiß, ich bin unmöglich zu dir. Ich gebe nichts und fordere nur. Ich sage ohne Rücksicht alles, was mir gerade durch den Kopf schießt, habe dich hierherzitiert und dich durch halb Shinjuku geschleift. Aber ich habe doch sonst niemanden, mit dem ich das machen kann. Nicht einmal in den zwanzig Jahren, die auf der Welt bin, durfte ich nur an mich denken. Mein Vater und meine Mutter haben mich überhaupt nicht beachtet, und mein Freund ist auch nicht der Typ dazu. Er wird sofort wütend, wenn ich einmal meinen Willen durchsetzen will. Dann streiten wir uns. Nur mit dir kann ich reden. Jetzt bin ich völlig kaputt und möchte einschlafen, während mir jemand sagt, wie lieb und hübsch ich bin. So einfach ist das. Wenn ich aufwache, bin ich wieder ganz munter und werde dich nie wieder mit meinen Forderungen belästigen. Und ein ganz braves Mädchen sein.«
»Ich verstehe dich, aber ich kann da nichts machen.«
»Ach bitte, sonst setze ich mich hier hin und heule die ganze Nacht. Und schlafe mit dem ersten Typ, der mich anspricht.«
Ratlos rief ich Nagasawa im Wohnheim an und bat ihn, es so aussehen zu lassen, als wäre ich nach Hause gekommen. Es sei wegen eines Mädchens, erklärte ich ihm. Kein Problem, sagte er. Es sei ihm ein Vergnügen.
»Mach dir keine Sorgen, ich schiebe einfach dein Namensschild auf die ›Anwesend‹-Seite. Laß dir nur Zeit. Du kannst morgen durch mein Fenster rein.«
»Tausend Dank. Du hast was gut bei mir«, sagte ich und legte auf.
»Alles klar?« fragte Midori.
»Ja, so einigermaßen.« Ich seufzte tief.
»Toll, aber es ist noch so früh. Komm, wir gehen in eine Disco.«
»Ich dachte, du bist zu Tode erschöpft?«
»Dafür reicht’s noch.«
»O Mann«,
Weitere Kostenlose Bücher