Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
plötzlich wieder ins Gegenteil umschlagen.«
    »Die sorgenvollen Schwestern«, sagte ich lachend.
    »Wir haben es ja auch bis jetzt nicht gerade leicht gehabt. Aber das geht schon in Ordnung. Wir kriegen alles zurück, was wir gegeben haben.«
    »Den Eindruck habe ich auch. Was macht deine Schwester denn so den ganzen Tag?«
    »Eine Freundin von ihr hat vor kurzem in der Nähe von der Omotesandō einen Laden für Accessoires eröffnet. Dort arbeitet sie dreimal in der Woche. Ansonsten lernt sie kochen, trifft sich mit ihrem Verlobten, geht ins Kino, wurstelt so rum und genießt das Leben.«
    Midori fragte mich nach meinem neuen Leben, und ich erzählte ihr von dem Haus, dem großen Garten, von Möwe, der Katze, und meinem Vermieter.
    »Geht’s dir gut?«
    »Hm, nicht schlecht.«
    »Du schäumst nicht gerade über vor Begeisterung.«
    »Und das im Frühling«, erwiderte ich.
    »Und du trägst den tollen Pullover, den deine Freundin dir gestrickt hat.«
    Verdutzt warf ich einen Blick auf meinen weinroten Pullover. »Woher weißt du das?«
    »Du bist wirklich süß. Ich hab’s geraten. Sag schon, was ist los mit dir?«
    »Ich bemühe mich ja.«
    »Vergiß nicht, das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen.« Kopfschüttelnd warf ich ihr einen fragenden Blick zu. »Vielleicht bin ich zu blöd, aber manchmal verstehe ich nicht, was du meinst.«
    »Du kennst doch diese Pralinenschachteln mit verschiedenen Sorten Pralinen drin? Einige davon mag man und andere nicht, stimmt’s? Also ißt man als erstes die, die man mag, bis zum Schluß nur noch die übrig sind, die man nicht mag. Daran denke ich immer, wenn ich etwas Unangenehmes vor mir habe. Ich muß das, was ich nicht mag, einfach runterschlucken. So fällt’s mir leichter. Deshalb sage ich mir, das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen.«
    »Das ist vielleicht eine Philosophie!«
    »Aber so ist es doch. Das weiß ich aus Erfahrung.« Wir waren gerade beim Kaffee, als zwei Mädchen aus Midoris Semester das Lokal betraten. Die drei verglichen ihre Belegscheine, wobei ihre Münder keinen Augenblick stillstanden. Wie sie im letzten Deutschkurs abgeschnitten hatten, daß Soundso bei einer Campus-Demo verletzt worden war, und nein, was für tolle Schuhe, wo hast du die denn gekauft? Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, und ihr Gespräch schien mir von der anderen Seite des Planeten zu kommen. Während ich meinen Kaffee trank, präsentierte sich mir vor dem Fenster eine typische Universitätsszene im Frühling. Der Himmel war dunstig, die Kirschbäume blühten, die neuen Studenten rannten mit neuen Büchern unter dem Arm umher. Beim Anblick dieser Szenen überkam mich erneut Benommenheit. Ich dachte an Naoko, die dieses Jahr ganz sicher nicht an die Universität zurückkehren würde. Am Fenster stand ein kleines Glas mit Anemonen.
    Nachdem die beiden Mädchen an ihren Tisch zurückgekehrt waren, verließen Midori und ich das Restaurant, um einen Spaziergang zu machen. Wir stöberten in ein paar Antiquariaten herum und kauften auch etwas. Anschließend gingen wir noch einmal Kaffeetrinken, flipperten in einem Spielsalon und ließen uns im Park auf einer Bank nieder, um uns zu unterhalten. Die meiste Zeit über redete Midori, und ich murmelte zustimmend. Weil sie Durst hatte, holte ich an einem Kiosk zwei Cola. Als ich zurückkam, war sie gerade dabei, mit Kugelschreiber etwas auf einem linierten Blatt zu notieren. Auf meine Frage, was sie da schreibe, antwortete sie: »Nichts.«
    Um halb vier sagte sie, sie müsse gehen, da sie mit ihrer Schwester auf der Ginza verabredet sei, worauf ich sie zur U-Bahn brachte und wir uns trennten. Beim Abschied stopfte mir Midori das gefaltete, linierte Blatt in die Jackentasche. »Lies das, wenn du nach Hause kommst.« Ich las es in der Bahn.
    »Lieber T ō ru,
    ich schreibe diesen Brief, während Du Cola holst. Es ist das erste Mal, daß ich einem Menschen, der neben mir auf der Bank sitzt, einen Brief schreibe, aber mir scheint, anders kann ich Dir nicht mitteilen, was ich zu sagen habe. Du hörst ja kaum zu, wenn ich rede. Stimmt ‘s? Weißt Du überhaupt, daß Du mich heute schrecklich gekränkt hast? Hast Du nicht bemerkt, daß ich eine neue Frisur habe?
    Mühsam habe ich mir nach und nach die Haare wachsen lassen und endlich letzte Woche eine einigermaßen mädchenhafte Frisur hingekriegt. Und Du hast sie nicht einmal bemerkt! Sie sieht wirklich süß aus, und sie sollte eine Überraschung für Dich sein, wo wir uns doch so lange nicht

Weitere Kostenlose Bücher