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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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lachend.
    »Könnte passieren.« Sie wandte sich an Naoko. »Du, ich muß noch mal zu Okas und Weintrauben holen. Hab ich ganz vergessen.«
    »Soll ich mitkommen?« fragte Naoko.
    »Darf ich mir Herrn Watanabe ausleihen?«
    »Sicher.«
    »Machen wir also noch einen Abendspaziergang zu zweit.« Reiko nahm meine Hand. »Gestern nacht waren wir fast am Ziel, bringen wir es also heute ganz hinter uns.«
    »Bitte, tut euch keinen Zwang an«, sagte Naoko kichernd.
    Es wehte ein ziemlich kalter Wind. Reiko trug eine hellblaue Strickjacke über ihrer Bluse. Die Hände in den Hosentaschen, sah sie zum Himmel und schnupperte wie ein Hund. »Es riecht nach Regen.« Ich versuchte ebenfalls, den Regengeruch zu wittern, roch aber gar nichts. Allerdings verdunkelten dicke Wolken den Mond.
    »Wenn man lange genug hier ist, kann man das Wetter riechen.«
    Als wir in das Wäldchen mit den Häusern des Personals kamen, bat mich Reiko, einen Moment auf sie zu warten, und ging allein an eine Tür. Sie klingelte, und eine Dame, anscheinend die Hausfrau, öffnete, worauf die beiden kichernd ein Schwätzchen hielten. Schließlich ging die Frau ins Haus und kam mit einer großen Plastiktüte wieder heraus. Reiko bedankte sich, sagte gute Nacht und kehrte zu mir zurück.
    »Schauen Sie mal – Weintrauben.« Reiko ließ mich einen Blick in die volle Tüte werfen.
    »Essen Sie gern Weintrauben?«
    »Ja, sehr.«
    Sie reichte mir die oberste Traube. »Die sind schon gewaschen, die können Sie so essen.«
    Im Gehen aßen Reiko und ich die frischen, saftigen Trauben. Kerne und Schalen spuckte ich auf die Erde.
    »Ich gebe ihrem Sohn ab und zu Klavierunterricht. Dafür schenken sie mir immer etwas. Der Wein von gestern war auch von ihnen. Sie kaufen auch manchmal in der Stadt etwas für mich ein.«
    »Ich würde gern das Ende Ihrer Geschichte von gestern hören«, sagte ich.
    »In Ordnung, aber ob Naoko nicht mißtrauisch wird, wenn wir so lange wegbleiben?«
    »Ich will sie trotzdem hören.«
    »Also gut, wir brauchen aber ein Dach. Es ist ganz schön kühl heute.«
    Vor dem Tennisplatz bog sie nach links ab. Wir gingen eine schmale Treppe hinunter und kamen an einer Reihe kleiner, länglicher Schuppen heraus. Reiko öffnete die Tür des ersten, ging hinein und schaltete das Licht ein. »Kommen Sie rein.« In dem Schuppen wurden Langlaufski, Skistiefel und Skistöcke aufbewahrt, in Regalen ordentlich aneinandergereiht. Auf dem Boden standen Schneeschieber und Säcke mit Streusalz.
    »Früher war ich oft hier, um Gitarre zu üben und allein zu sein. Ist doch ganz gemütlich, oder?«
    Reiko ließ sich auf den Streusalzsäcken nieder und lud mich auch dazu ein.
    »Es wird leicht rauchig hier, aber darf ich mir trotzdem eine genehmigen?«
    »Bitte, bitte.«
    »Ich kann damit nicht aufhören. Mein einziges Laster.« Reiko runzelte die Stirn, rauchte jedoch genüßlich. Ich kannte nur wenige Menschen, die mit solchem Vergnügen rauchten. Ich aß meine Trauben, nachdem ich die Haut abgezogen hatte, und warf die Schalen in die leere Dose, die als Mülleimer diente.
    »Wie weit waren wir gestern gekommen?« fragte Reiko.
    »In einer stürmischen Nacht erklommen Sie die steile Klippe, um das Nest der Mehlschwalbe auszurauben, glaube ich.«
    »Erstaunlich, wie Sie mit so ungerührtem Gesicht über die ernstesten Dinge scherzen können«, sagte Reiko mit gespielter Empörung. »Also, ich gab dem Mädchen jeden Samstagmorgen Klavierunterricht, nicht wahr?«
    »Genau.«
    »Wenn man die Menschen auf der Welt in gute und schlechte Lehrer einteilen kann, zähle ich mich eher zu den ersteren«, sagte Reiko. »In meiner Jugend war ich zwar ganz anderer Meinung, wahrscheinlich hätte das nicht in mein Selbstbild gepaßt, aber in einem gewissen Alter habe ich erkannt, daß ich gut darin bin, anderen etwas beizubringen. Wirklich gut.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Ich bin der Typ, der mit anderen mehr Geduld hat als mit sich selbst und die guten Seiten anderer besser zum Vorschein bringen kann als die eigenen. Ich bin wie die Reibfläche einer Streichholzschachtel. Aber das macht nichts. Ich habe nichts dagegen, denn ich bin lieber eine erstklassige Streichholzschachtel als ein zweitklassiges Streichholz. Erst als ich das Mädchen unterrichtete, wurde mir das klar. Ich hatte schon früher, als ich jünger war, nebenbei ein paar Schüler gehabt und mich überhaupt nicht so gesehen, wogegen der Unterricht, den ich dem Mädchen gab, einen ganz anderen Stellenwert annahm

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