Naomi & Ely - die Freundschaft, die Liebe und alles dazwischen
geglaubt, dass er lachen würde? Warum hatte ich geglaubt, dass er sagen würde: »Na, ist doch super, oder?« Warum hatte ich geglaubt, das wäre nur für mich ein wichtiges Ereignis?
»Ach Bruce«, sagt er. Und dann hebt er die Hand und streicht mit dem Daumen sanft über meine Wange und wischt die Träne unter meinem Auge weg, die dort unsichtbar schon den ganzen Tag hing.
Es sind zu viele Leute um mich herum; ich sage es Ely und er nimmt mich in einen ruhigeren Raum mit. Einen der Diorama-Säle, in die heute fast keiner mehr reingeht, wo der Alltag von Eskimos in den Fünfzigern gezeigt wird. Wir sitzen auf einer Bank, und er hält meine Hand und fragt mich, was passiert ist.
Und vielleicht ist das alles doch nicht so schlimm, wie ich geglaubt habe, denn ich kann schon wieder lächeln, obwohl ich immer noch ein wenig weinen muss, und ich sage: »Dein Name ist schuld daran.«
Ich erzähle ihm, dass es ein ganz normaler Morgen war. Mein Dad war schon in seiner Praxis und meine Mom trank gerade ihren Morgenkaffee. Ich hatte bei ihnen übernachtet, weil ich meine Wäsche waschen und noch ein paar andere Sachen erledigen wollte. Normalerweise reden meine Mom und ich über meine Kurse an der Uni und irgendwelche Belanglosigkeiten. Aber an diesem Morgen war ihre erste Frage:
»Wer ist Ellie?«
Ich hab es zuerst gar nicht geschnallt und gefragt: »Ellie?«
Erst als sie dann nachhakte: »Bist du nicht mehr mit Naomi zusammen?«, hab ich kapiert, was sie meinte.
»Es hat mit Naomi nicht so richtig funktioniert«, hab ich geantwortet. Ich dachte, damit sei die Sache erledigt.
Aber nein. Sie machte weiter. »Und mit Ellie läuft es besser?«
Ich muss sie wie ein in die Enge getriebenes Tier angestarrt haben, denn sie stellte ihre Kaffeetasse ab und sagte: »Es tut mir leid. Ich habe die Nummer von dem Arzt gebraucht, den ich letzte Woche von deinem Handy aus angerufen habe. Ich habe bei dir im Verzeichnis nachgeschaut, und mir ist aufgefallen, dass da eine Menge Anrufe an eine Ellie waren. Ich weiß, ich weiß - ich hätte dich fragen sollen. Aber du hast noch geschlafen, und ich hab gedacht, es hätte dich bestimmt noch mehr genervt, wenn ich dich deswegen aufgeweckt hätte. Ich habe die Nummer dringend gebraucht. Wirklich. Mein Rücken macht mir wieder mal zu schaffen.«
Das Seltsame daran war, dass ich ihr die Geschichte sogar abgenommen habe. Nach achtzehn Jahren, in denen ich genug Zeit hatte, die Psyche meiner Mutter mit all ihren Wirkungen und Nebenwirkungen zu studieren, kenne ich mich bei ihr ganz gut aus.
Ich hätte immer noch ausweichen können. Ich hätte einfach sagen können: »Das ist nur eine gute Freundin.« Oder: »Niemand Wichtiges.«
Aber ich wollte nicht lügen. Ich wollte nicht die Wahrheit sagen, aber noch viel weniger wollte ich lügen.
Deshalb sagte ich: »Er heißt Ely, Mom. Es ist ein Junge.«
Und dann
sagte ich:
»Er ist jetzt sozusagen mein Freund.«
Ich komme mir ziemlich dämlich vor, das alles Ely jetzt so zu erzählen. Wir haben noch nicht einmal ein richtiges Sind-wir-jetzt-eigentlich-ein-Paar?-Gespräch geführt. Aber er scheint nichts dagegen zu haben, dass ich ihn sozusagen meinen Freund genannt habe. Stattdessen fragt er: »Und was hat sie geantwortet?«
Ich sage ihm, dass sie geantwortet hat: »Heißt das, dass du schwul bist?« Sie war zu schockiert, um Missbilligung oder Zustimmung ausdrücken zu können.
Und darauf ich: »Nein. Es heißt nur, dass ich nicht hetero bin.«
Es war offensichtlich, dass keiner von uns beiden auf dieses Gespräch vorbereitet war. Und keiner von uns beiden hätte je geglaubt, dass wir es an diesem Morgen führen würden, in diesem Augenblick, bei einer Tasse Kaffee.
Dann, und das war vielleicht das Eigenartigste, lief der Morgen ganz normal weiter. Natürlich war uns beiden klar, dass sich etwas verändert hatte, aber das Ausmaß dieser Veränderung konnten wir noch nicht richtig erfassen. Sie sagte nicht: »Ich liebe dich.« Und sie sagte auch nicht: »Ich hasse dich.« Sie sagte nur: »Tut mir leid, dass ich an deinem Handy war.« Und darauf ich: »Schon in Ordnung. Hast du einen Termin bekommen?« Und sie fragte: »Was?« Und ich sagte: »Beim Arzt. Einen Termin.« Und sie nickte und sagte: »Um eins. In der Mittagspause.« Und ich sagte: »Da hast du aber Glück gehabt.««
Wir wussten überhaupt nicht, was wir da redeten.
»Deshalb«, sage ich jetzt zu Ely, »habe ich nicht den leisesten Schimmer, was mich erwartet, wenn ich das
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