Naomi & Ely - die Freundschaft, die Liebe und alles dazwischen
Es ist schon eine Weile her, dass ich sie das letzte Mal ganz dringend gebraucht habe, aber sie sind so höflich, das nicht zu erwähnen.
Als wir gemeinsam rausgehen, kommen wir an Naomis Psychologie-Vorlesung vorbei. Ich hab ihren Stundenplan immer schon vor meinem eigenen auswendig gewusst und das macht mich einen Augenblick ganz wehmütig. Aber ich kann sie nicht fragen, ob sie mitkommen will, nicht jetzt - ich kann mich mit den Katastrophen in meinem Leben nur nacheinander befassen, eine nach der anderen, denn wenn ich an alle auf einmal denken würde, dann würde ich in eine bodenlose Tiefe stürzen.
Ich bin nicht der Einzige, der Probleme hat. Während wir am Washington Square Park (zu viele Leute, die wir kennen, zu viel menschliches Getöse) vorbeischlendern und Richtung Hudson gehen, erzählt Ink, wie er versucht hat, seiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren - und sie sich geweigert hat, ans Telefon zu kommen, obwohl seine Schwestern versucht haben, sie zu überreden. Danach berichtet Art von einer S/M-Nacht - »S/M auf die üble Weise« - mit einem Kerl, den er im Internet kennengelernt hatte und der sich bei ihrem ersten Real-Date dann als zwanzig Kilo schwerer, sechs Jahre älter und fünf Äonen dümmer als in seinen E-Mails herausgestellt hat. Und Neal erzählt, dass sein Ex wieder angefangen hat, bei ihm anzurufen und ihm schlüpfrige Angebote zu machen - und damit fast seine jüngste Beziehung ruiniert hätte.
Shaun bleibt still und erzählt nichts von sich, was möglicherweise mit meiner Anwesenheit zu tun hat. Denn ich war zwar ganz am Anfang von der Uni eine Woche lang mit Ink zusammen und hab auch einmal auf einer Party mit Neal rumgeknutscht, aber Shaun hab ich erst auf meine No Kiss List gesetzt, als es dafür beinahe zu spät war. Ich hab ihn hemmungslos angebaggert und das hat fast alles kaputt gemacht.
Wir gehen weiter, bis wir am Rockefeller Park sind, direkt am Fluss. Sobald wir uns hingesetzt haben, fragt mich Neal, was los ist und ob ich inzwischen was von Bruce gehört hätte.
Es ist eine einfache Frage und meine Antwort dauert ungefähr zwanzig Minuten. Ich beginne mit der Nacht, in der Bruce verschwunden ist, denn Neal und Art haben zwar alles mitgekriegt, weil sie dabei waren, aber Shaun und Ink nicht. Ich erzähle, wie verwirrt ich an dem Abend war und wie verwirrt ich immer noch bin, wenn nicht noch mehr. Ich gebe zu: Ich hätte früher merken müssen, dass Bruce weg war. Zuerst hatte ich nur gedacht, dass da wohl eine richtig lange Schlange vor dem Klo sein musste, denn das ist fast immer so. Dann dachte ich, er hat wahrscheinlich irgendwelche Freunde getroffen, mit denen er sich unterhält oder sonst was. Und erst als er schon ungefähr eine Stunde weg war, hab ich begriffen, hey, es ist jetzt schon eine Stunde vergangen. Ich gestehe, dass ich sogar gedacht habe, Mist, jetzt krieg ich bestimmt Ärger, weil ich ihn eine Stunde lang allein gelassen habe. Es wäre mir nie eingefallen, dass er gegangen sein könnte, ohne mir was zu sagen. Ich hab überall nach ihm gesucht und sogar Neal und Art losgeschickt, nach ihm zu gucken. Ich hab die Leute in der Schlange vor dem Klo gefragt, ob sie vielleicht jemand gesehen hätten, auf den die Beschreibung von Bruce passte, aber sie haben mir erklärt, dass im Augenblick nur eine als Jewel verkleidete Drag Queen im Klo wäre - und zwar allein. Irgendwann bin ich dann gegen den Missy-Elliott-Türsteher gerumpelt, der mir klargemacht hat, dass mein Vögelchen ausgeflogen war. Ich hab mein Handy gecheckt, ob ich eine SMS bekommen hatte, und meine Mailbox abgehört: nichts. Ich hab sogar Neal gesagt, dass er mir eine SMS schreiben, und Art, dass er mich anrufen soll, um mich zu vergewissern, dass mein Handy noch richtig funktionierte. Ich hab versucht, Bruce anzurufen. Kein Erfolg. Ich hab ihm eine SMS geschickt: Wo bist du? Alles okay bei dir?
Zehn Minuten später kam von ihm endlich eine Antwort:
Ich bin gesund und wohlbehalten. Einen schönen Abend noch.
Das war alles. Keine Entschuldigung. Keine Erklärung.
Das sah ihm so überhaupt nicht ähnlich. Das sah eher mir ähnlich. Sich so wenig zu kümmern.
Ich hab ihm noch eine SMS geschrieben und gefragt, was los ist. Neal, Art und ich sind dann aus dem Club raus und in ein Diner zu einer unserer Drei-Uhr-morgens-Pancake-Sessions. Es war ein ganzer Schwarm schwuler Jungs da und wir haben uns Stühle geholt und uns zu ihnen gesetzt. Ich hätte mich wie ein Fisch im Wasser fühlen
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