Napoleon Bonaparte. Biographie.
mit der Ruhe eines an Verrat gewohnten Mannes: dann sagt er zu Ney, der vor ihm steht, gewendet:
»Nun! Marschall, hören Sie es? Ihr Schützling ist es, von dem ich nichts wollte, für den Sie mir bürgten, und den ich nur aus Rücksicht auf Sie angenommen habe; nun ist er zum Feinde übergegangen!«
»Sire«, antwortete der Marschall, »verzeihen Sie mir, aber ich glaubte ihn so ergeben, daß ich für ihn gut gesagt hätte, wie für mich selber«.
»Herr Marschall,« erwidert Napoleon, sich erhebend und ihm die Hand auf die Schulter legend, »wer blau ist, bleibt blau, und wer weiß ist, bleibt weiß.«
Dann setzt er sich wieder und nimmt augenblicklich mit seinem Angriffsplan die Veränderungen vor, die dieser Abfall nötig macht.
Mit Tagesanbruch sollen sich seine Kolonnen in Bewegung sehen. Die Vorhut seines linken Flügels, aus der Infanterie-Division des Generals Jérôme Bonaparte, ehem. Königs von Westfalen, gebildet, soll die Vorhut des preußischen Korps unter General Zieten werfen und sich der Brücke von Marchiennes bemächtigen; der rechte, von General Gerard kommandierte Flügel soll zur rechten Zeit die Brücke von Châtelet überrumpeln, während die leichte Reiterei des Generals Pajol, die die Vorhut des Zentrums bildet, von dem dritten Infanteriekorps unterstützt, vorzurücken und die Brücke von Charleroi zu nehmen hat. Um zehn Uhr soll die französische Armee über die Sambre gegangen und auf feindlichem Grund und Boden sein.
Alles geschieht, wie Napoleon befohlen. Jérôme wirft Zieten über den Haufen und nimmt ihm 500 Gefangene ab, Gérard stürmt die Brücke von Châtelet und jagt den Feind weiter als eine Stunde jenseits des Flusses zurück: nur Vandamme säumt und hat um sechs Uhr morgens sein Lager noch nicht verlassen. – »Er wird zu uns stoßen«, sagt Napoleon, »greifen Sie, Pajol, mit Ihrer leichten Reiterei an; ich folge Ihnen mit meiner Garde.«
– Pajol bricht auf und wirft alles, was ihm in den Weg kommt, über den Haufen. Ein Infanterieviereck will standhalten, der General Desmichels stürzt sich, an der Spitze des 4. und 6. Jägerregiments darauf, durchbricht, vierteilt und zerstückelt es und nimmt ihm einige hundert Gefangene ab. Pajol kommt, den fliehenden Feind niedersäbelnd, vor Charleroi an und reitet im Galopp ein; Napoleon folgt ihm. Um drei Uhr erscheint Vandamme; eine schlecht gemachte Ziffer ist die Ursache seiner Zögerung: er hat IV für VI gehalten. Sein Irrtum straft sich zuerst an ihm selbst dadurch, daß er nicht mitkämpfen durfte.
Noch am gleichen Abend ist die ganze französische Armee über die Sambre gesetzt: Blüchers Heer ist auf dem Rückzuge nach Fleurus und läßt zwischen sich und der englisch-holländischen Armee einen leeren Raum von vier Stunden.
Napoleon sieht den Fehler und beeilt sich, ihn zu benutzen: er erteilt Ney den mündlichen Befehl, mit 42+000 Mann auf der Straße von Brüssel nach Charleroi vorzurücken und nur erst im Dorfe Quatrebras, einem wichtigen, auf der Kreuzungsstraße von Brüssel, Nivelle, Charleroi und Namur gelegenen Punkte, stehenzubleiben. Dort soll er die Engländer aufhalten, während Napoleon mit seinen noch übrigen 72+000 Mann die Preußen schlägt. Der Marschall bricht augenblicklich auf.
Napoleon, der seine Befehle vollzogen glaubt, setzt sich am Morgen des 16. Juni wieder in Marsch und entdeckt die preußische Armee in Schlachtordnung zwischen Saint-Amand und Sombreffe, die Sambre vor sich. Sie ist aus drei Korps zusammengesetzt, die zu Charleroi, Namur und Dinant gelagert waren. Ihre Stellung ist unverantwortlich, denn sie bietet ihre rechte Flanke Ney dar, der den erhaltenen Befehlen gemäß, um diese Stunde in Quatrebas sein muß, das heißt 2 Stunden hinter dem Rücken des Feindes. Demzufolge trifft Napoleon seine Anordnungen. Er stellt seine Armee in der gleichen Linie, wie die Blüchers auf, um ihn von vorn anzugreifen, und schickt an Ney einen vertrauten Offizier mit dem Befehl, er solle ein Beobachtungskorps in Quatrebras lassen und sich in aller Eile gegen Bry wenden, um den Preußen in den Rücken zu fallen. – Ein anderer Offizier sprengt in demselben Augenblick davon, um das Korps des Grafen von Erlon, das die Nachhut bildet und folglich erst in Villers-Perruin sein soll, aufzuhalten; er soll ihn umwenden lassen und nach Bry zurückführen. Diese neue Anordnung fördert die Sache um eine Stunde und verdoppelt die guten
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