Narben
meine Drohungen vom letzten Abend ausreichten, um Gwen Shea am Verschwinden zu hindern. Was hatte ich schon in der Hand ohne sie?
Ich mußte unbedingt mit Milo reden. Ich brauchte seine Hilfe.
Ich war gerade in Shorts und T-Shirt geschlüpft, als mein Telefondienst mich mit Dr. Embrey verband. Ich versuchte, nicht verärgert zu klingen. »Hallo, Wendy.«
»Guten Morgen. Wie geht es Lucretia?«
Lucy war nicht mehr ihre Patientin, sie hatte also kein Recht auf diese Frage. »Es geht ihr gut«, antwortete ich knapp.
»Das freut mich. Sie war eine eigenartige Patientin.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hat so darauf beharrt, es wäre kein Selbstmordversuch gewesen, und klang dabei so vernünftig. Es hat also keine größeren Depressionen gegeben?«
»Nein.«
»Gut. Grüßen Sie sie von mir.«
»Ich werde es ausrichten.«
»Eigentlich rufe ich wegen etwas anderem an. Es ist mir furchtbar unangenehm, Sie müssen mir auch nicht antworten, aber hatten Sie je Probleme, das Geld für die Behandlungen von ihr zu bekommen?«
»Nein, wieso?«
»Hm. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe Ihnen sicher erzählt, daß das Woodbridge nur zahlungsfähige Patienten aufnimmt. Wir sind alle unter extremem Druck. Es ist mein erstes Jahr hier, meine Probezeit, verstehen Sie? Lucy hatte keine Versicherung und offenbar keine sonstigen Mittel, als sie zu uns kam. Unsere Politik ist normalerweise, solche Fälle so schnell wie möglich ans Landeskrankenhaus zu überweisen. Ich konnte das nur verhindern, weil ihr Bruder uns versprach, das Finanzielle zu regeln. Und jetzt habe ich gehört, daß die Rechnung, die wir an seine Firma geschickt haben, ungeöffnet zurückgekommen ist, und auf Anrufe reagiert er auch nicht. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?«
»Er ist leider sehr beschäftigt. Der Bruder der beiden, Peter, ist vor zwei Tagen an einer Überdosis gestorben.«
»Mein Gott, das tut mir wirklich leid. Entschuldigen Sie meinen Anruf. Auf Wiederhören.«
Beim Frühstück schaute ich mir die Nachrichten an. Es gab ein Interview mit einer von Schwandts Verehrerinnen. Sie hatte den Schädel rasiert und trug eine Ziegenfellweste und eine Halskette aus Fangzähnen. Über der linken Augenbraue war der Spruch Roland ist Gott eintätowiert.
»Sie meinen also, Roland Schwandt hätte eine Neuverhandlung verdient?«
»Roland lebt. Amen. Die Wahrheit wird über uns kommen, und…« Dann fiel der Ton aus. Der Rest des Interviews schien der Zensur zum Opfer gefallen zu sein.
Ich schaltete den Kasten aus, und sofort klingelte das Telefon.
»Hallo, Alex.« Endlich. Es war Milo. »Was soll diese Nachricht über Mrs. Shea, die du mir aufs Band gesprochen hast? Hast du sie etwa verhört?«
»Es hat sich einfach so ergeben.«
»Wer’s glaubt, wird selig. Ich hoffe nur, sie verklagt dich nicht. Du meinst also, es hat sich gelohnt?«
»Ich glaube schon.«
Ich erklärte ihm, warum.
»Wenn Ape und Lowell mit solcher Leichtigkeit Leute umbringen, warum sind dann die Sheas noch am Leben?« war Milos erste Frage.
»Dafür gibt es Erklärungen. Wenn Gwen mich nicht angelogen hat, wissen sie wirklich nicht viel. Die Sheas hüteten das Geheimnis und forderten kein weiteres Geld. Mit jedem Jahr waren sie sicherer. Außerdem sind sie inzwischen respektable Geschäftsleute. Es würde ihrem Image gar nicht guttun, wenn herauskäme, daß sie einmal dabei geholfen haben, den Tod eines jungen Mädchens zu vertuschen. Und wenn Doris je erfährt, daß die Sheas sie übers Ohr gehauen haben, könnte sie versuchen, sie zu erpressen, zumal sie sowieso neidisch auf deren Erfolg ist.«
»Ein netter Verein. Jedenfalls wissen wir jetzt mit Sicherheit, daß das Sanktum der Ort ist, wo Karen zum letzten Mal gesehen wurde, aber…«
»Es gibt immer noch keine Beweise. Ich weiß.«
»Und keine Leiche.«
»Aber Lucys Traum hat sich bisher immer weiter bewahrheitet. Ich nehme an, die Leiche ist in Topanga zu finden.«
»Nach all den Jahren? Wahrscheinlich haben sie sie längst woanders verscharrt. Warum sollten sie so dumm sein, das zu unterlassen?«
»Weil sie arrogant sind. Lowell denkt mit Sicherheit, er steht über dem Gesetz, und objektiv gesehen, gibt es kaum einen besseren Ort, jemanden verschwinden zu lassen, als auf seinen Ländereien im Canyon.«
Mein Magen krampfte sich zusammen. »Ach je.«
»Was ist los, Alex?«
»Ich dachte gerade an Ape. Wenn er herausfindet, daß an meiner Geschichte mit der Biographie nichts dran ist, kommt er
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