Narben
trieben uns zusammen in Katmandu herum. Ich war bei ihr, als sie verunglückte.«
»Wie ist es passiert?«
»Wir waren wandern. Sie war sehr erfahren und fit. Für sie war es nur ein Spaziergang, doch dann machte sie einen falschen Tritt und stürzte fünfzig Meter ab. Ich war weit hinter ihr, sie flog direkt an mir vorbei, bevor sie auf einem Felsvorsprung aufschlug.« Er rieb sich die Augenlider.
Im ersten Stock öffnete sich eine Tür, und Lucy kam die Treppe herunter.
»Hallo.« Sie schaute Ken an. »Alles in Ordnung?«
»Ja, klar.« Er lächelte und knöpfte sich das Jackett zu. »Ich sollte um sechs wieder hier sein. Mach dir keine Sorgen wegen deinem Auto; ich lasse es herbringen.« Er winkte uns zu und ging aus dem Haus.
»Sieht aus, als seien Sie gut versorgt«, sagte ich.
»Er ist wirklich süß. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke.«
»Sollen wir nach draußen gehen und reden? Es ist nett hier drinnen, aber ich finde es ein bißchen düster.«
Der Garten war großzügig, mit einem nierenförmigen Swimmingpool und einem kleinen Wasserfall. Auf einer Terrasse hinter dem Haus standen ein Tisch, ein paar Stühle und vertrocknete Blumenkübel. Von den Nachbarhäusern waren wir durch hohe Hecken und wuchernde, knorrige Ranken abgeschirmt.
Wir setzten uns. Lucy schlug die Beine übereinander und schaute zum Himmel. Ihre Augen sahen müde aus. Sie schien den Tränen nahe.
»Was ist los?«
»Ich muß die ganze Zeit an Peter denken.«
Nach kurzer Überlegung sagte ich: »Er hat Ihren - er hat Lowell vor zwei Tagen angerufen und ihm erzählt, daß Sie im Krankenhaus waren. Er macht sich offenbar Sorgen um Sie, aber irgend etwas hindert ihn daran zurückzukommen.«
Sie schoß hoch. »Warum sollte er den anrufen? Woher wissen Sie das überhaupt?«
»Lowell hat sich bei mir gemeldet und wollte über Sie reden. Ich sagte ihm, das ginge nicht ohne Ihre Erlaubnis.«
»Unglaublich! Warum sollte Peter ihn anrufen?«
»Lowell weiß jedenfalls, daß Sie in Woodbridge waren.«
»Absurd. Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
»Ich hatte das Gefühl, er wäre mit Peter in Kontakt. Er hat mir auch von seinem Drogenproblem erzählt. Das habe ich natürlich nicht für bare Münze genommen, aber Milo hat es nachgeprüft und bestätigt.«
Ihr Mund klappte auf und zu. Sie kratzte mit den Fingernägeln auf der gläsernen Tischplatte, daß sich meine Nackenhaare sträubten.
»Dazu hat er kein Recht. Warum mußte Milo das tun?«
»Um Ihret und Peters willen. Wir konnten einfach nicht verstehen, warum er sich nicht bei Ihnen meldet. Wir dachten, er ist vielleicht in Schwierigkeiten. Seit wann ist er süchtig?«
»Er - das weiß ich nicht genau. Gras hat er schon in der Schule geraucht. An der Uni war er dann auf… dem anderen Zeug. Er brach das Studium ab, als ein Sicherheitsmann ihn dabei erwischte, wie er sich im Wohnheim einen Schuß setzte. Danach war ihm alles egal. Er trieb sich auf der Straße herum. Die Polizei griff ihn immer wieder auf, wegen Landstreicherei, doch sie ließen ihn wieder laufen. Er versuchte, Hilfe zu finden, zuerst an der Uni, dann in offenen Kliniken und bei Privatärzten, aber nichts funktionierte. Es ist eine Krankheit.«
Sie hörte auf, die Glasplatte zu malträtieren.
»Er war immer gut zu mir«, sagte sie leise, »trotz all seiner Probleme. Ich bin ihm nicht gleichgültig. Deshalb mache ich mir jetzt solche Sorgen. Er muß in Schwierigkeiten sein. Es muß etwas Ernstes sein, sonst wäre er jetzt hier.«
»Er hat jedem erzählt, es ginge um etwas Geschäftliches.«
Sie schaute mich verzweifelt an. »Ja, er dealt, ab und zu.
Aber nur um das Zeug für sich selbst zu finanzieren. Er hat keine andere Wahl. Er war pleite, und Lowell wollte ihm nur Almosen geben. Ich versuchte, ihm zu helfen, doch meistens wollte er nichts von mir annehmen - nur wenn es ihm ganz schlechtging. Er ist es, der leidet. Wie er lebt - in diesem Loch über dem Friseursalon…«
Sie begann zu weinen, und ich tätschelte ihre Schulter.
»Wie oft habe ich ihm angeboten, zu mir zu ziehen, einen Entzug zu probieren. Er sagte, es wäre hoffnungslos und er wollte mich nicht auch noch mit reinziehen. Er wollte gar keine Behandlung. Er sagte, der Stoff wäre wie eine Freundin für ihn, die er nie aufgeben würde. Und trotzdem war er immer für mich da. Wenn ich über etwas reden wollte, hörte er zu, sogar wenn er vollkommen weggetreten war. Er saß einfach da und tat so, als sei er klar. - Er wäre jetzt
Weitere Kostenlose Bücher