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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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bestimmt hier, wenn er nicht in ganz schlimmen Schwierigkeiten wäre.«
    »Was sollten das für Schwierigkeiten sein?«
    »Ich weiß nicht. - Vielleicht mit den Leuten, mit denen er sich immer abgab.«
    »Und wer sind die?«
    »Das ist es ja gerade; ich hab keine Ahnung. Es war immer sehr wichtig für ihn, mich rauszuhalten. Wenn ich ihn besuchte, wirbelte er in seinem Zimmer herum und versuchte, seine Gerätschaften zu verstecken. In letzter Zeit wollte er mich überhaupt nicht mehr dahaben. Es wäre zu deprimierend, sagte er. Also trafen wir uns in Restaurants und tranken Kaffee zusammen. Er sah immer halb tot aus und strengte sich furchtbar an, normal auszusehen. Ich weiß, es klingt alles nach noch einem dummen Junkie, aber er ist wirklich ein wundervoller Bruder.«
    Ich nickte, doch gleichzeitig dachte ich an Peters Verabredung mit Ken und wie willkommen einem Süchtigen das plötzliche Auftauchen eines wohlhabenden Bruders sein mußte. Trotzdem war er nicht erschienen.
    »Milo hat doch nicht die Polizei in Taos angerufen, oder? Ich will nicht, daß es noch gefährlicher wird für Peter.«
    »Nein. Milo weiß das.«
    »Ich kann kaum fassen, was er alles für mich getan hat und Sie auch. Und jetzt Ken.« Sie wischte sich die Augen. »Ich scheine eure Beschützerinstinkte zu wecken, wie ein verletztes Vögelchen. Das hat Peter einmal gesagt - ich käme ihm verwundet vor. Das gefiel mir gar nicht. Ich wollte immer stark sein.«
    »Sie sind stark, Lucy.«
    Sie spreizte die Finger auf der Glasplatte und betrachtete durch die Lücken das Backsteinmuster auf dem Fußboden.
    »Milo hat mir gesagt, Sie wissen davon - daß er schwul ist, meine ich. Ich war ziemlich schockiert. Ich verstehe jetzt auch, wie schwierig es für Sie gewesen sein muß, als ich so nachbohrte. Es tut mir wirklich leid.«
    »So geht es nun mal.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hätte das nie vermutet. Ein großer, starker Kerl wie er - ich weiß, das ist dumm, aber es wäre wirklich das letzte gewesen, woran ich gedacht hätte. Es muß sehr schwer für ihn sein in seinem Beruf.«
    »Was empfinden Sie denn jetzt, wo Sie es wissen?«
    »Was ich empfinde? Ich glaube, ich bin froh, daß ich die Wahrheit weiß. Ich fühle mich etwas enttäuscht, aber darüber komme ich schon hinweg. Ich bin immer noch dankbar, ihn als Freund zu haben. Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Vergessen Sie das verwundete Vögelchen. Das bin ich nicht. - Lassen Sie uns lieber über Lowell reden. Was will er so plötzlich? Sie können sich nicht vorstellen, welch ein Meister im Manipulieren von Leuten er ist. Auf Peter herumzutrampeln, als er im Dreck lag, hat ihm besonderen Spaß gemacht.«
    »Peter hat ihn um Geld gebeten?«
    »Ja, nachdem der Alte seine Erbschaft eingefroren hatte.«
    »Das kann er?«
    »Offiziell nicht, aber die Anwälte, die sie verwalten, können es. Und ein Anruf von ihm genügt…« Sie schnippte mit den Fingern. »Sie beriefen sich auf irgendeine Verschwendungsklausel. Danach hatte Peter keine Wahl, als zu ihm zu gehen. Er hatte immer versucht, das zu vermeiden, aber es war seine letzte Hoffnung. Natürlich erniedrigte der Alte ihn nach Strich und Faden und ließ ihn um jeden Penny betteln. Er hielt ihm Predigten über Sparsamkeit, als ob er darin Experte wäre und nicht selbst nur von Ererbtem lebte. Sein Großvater besaß Textilfabriken in New York und New Jersey und war steinreich. Er selbst hatte es nie nötig zu arbeiten, sonst wäre er untergegangen. Er hat seit Jahren nichts mehr veröffentlicht und kein einziges Bild verkauft.«
    Sie schaute mir entschlossen in die Augen. »Wissen Sie was? Vergessen Sie ihn. Vergessen Sie, daß jemand in meiner Unterwäsche gewühlt hat. Vergessen Sie die blöden Anrufe und den Zettel auf meinem Tisch. Schluß mit der Angst, Schluß mit dem Blödsinn. Ich weigere mich einfach, daran zu denken. Egal, was andere glauben, ich habe nie versucht, mich umzubringen. Ich liebe das Leben. Ich will endlich richtig anfangen damit - ein geregeltes, langweiliges, normales Leben.«
    »Und wo wollen Sie leben?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwo, ganz allein. Ich habe die Nase voll davon, ständig über meine Schulter gucken zu müssen. Letzte Nacht hatte ich den Traum wieder. Ken sagte, er hätte mich schreien gehört. Ich war schweißgebadet. Es ist, als ob dieser verdammte Inkubus in der Ecke hockt und darauf wartet, mich peinigen zu können. Als ob ein Riesenhaufen Abfall irgendwo in meinem Gedächtnis vergraben wäre.

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