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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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gaffte den Mädchen nach, als sie den Laden verließen.
    »Die scheinen ihren Spaß zu haben«, sagte ich.
    »Das kann man wohl sagen. Haben Sie gesehen, was sie gekauft hat? Ein Poster aus Pretty Boy mit einem von diesen Superhengsten. Eigentlich sind die für Schwuchteln gedacht, aber nachdem sich der Kalender so gut an Frauen verkauft hat, bringen sie die Bilder jetzt einzeln heraus.« Er grinste. »Zu unserer Zeit waren die Mädchen noch anders, was?«
    »Jedenfalls die, die ich gekannt habe.«
    »Also, was führt Sie zu uns?«
    »Ich suche eine Badehose.«
    Ich ging zu einer Kleiderschiene mit einem Schild »Herren« und schaute mir die Ware an. Ein Paar weite schwarze Shorts fielen mir ins Auge, weil über der Tasche ein Bernhardiner und die gestickten Worte BIG DOG prangten. Seine Zunge hing heraus, und er sah gefährlich aus - fast wie Bully. Ich nahm die Shorts und brachte sie zur Theke. Während der Mann den Preis eintippte, hörte ich die Türklingel. Eine dunkelhaarige Frau schob einen Fuß herein.
    »Kannst du mir helfen, Tom?«
    Sie war groß und hübsch, mit schlanker, graziöser Figur und muskulösen Armen. Ihr Haar war wellig, fast schwarz, und ihre Augen so hell, daß sie keine Pupillen zu haben schienen. Ihr Gesicht war von der Sonne zu glattem braunem Leder gegerbt. Enge rosa Shorts betonten die langen Beine.
    »Ich komme sofort, Schatz«, rief Tom ihr zu.
    Sie blieb an der Tür stehen. Ich hörte einen großen Achtzylinder im Leerlauf tuckern, schaute nach draußen und sah einen weißen, umgebauten Ford-Transporter mit qualmendem Auspuff.
    Ich ging hinaus und schlenderte so langsam wie möglich zu meinem Wagen. Ich stieg ein und tat so, als suchte ich etwas. Nach wenigen Sekunden kam Tom Shea aus seinem Laden und folgte seiner Frau zu dem Ford. Sie setzte sich hinters Steuer und schloß die Fahrertür. An der Rückseite des Transporters fuhr eine Metallrampe aus und senkte sich auf den Asphalt. Tom öffnete die Hintertür und zerrte einen elektrischen Rollstuhl mit einem zusammengekauerten, rothaarigen Jungen ans Licht.
    Ich ließ den Motor an und beobachtete Tom, wie er den Rollstuhl die Rampe hinunterlenkte. Der Junge konnte irgendwo zwischen zwölf und zwanzig Jahren alt sein. Sein großer Kopf rollte hin und her. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er streckte die Zunge heraus. Sein verkrüppelter Körper war im Rollstuhl festgeschnallt, doch er fiel trotzdem mit einem Ruck nach rechts. Sein Kopf berührte fast die Schulter. Einer seiner Arme war ebenfalls festgeschnallt. Mit der anderen Hand umklammerte er einen Hebel auf der Armlehne seines Gefährts. Er drückte den Hebel nach vorn, und der Rollstuhl bewegte sich langsam die Rampe hinunter. Für einen Augenblick sah ich das Gesicht des Jungen. Er grinste. Ein breites, fast triumphierendes Grinsen.
    Seine Augen blitzten vor Intelligenz.

20
    Das Haus in Brentwood war ein geräumiger, zweistöckiger Bau im Tudorstil, mit roten Rosen und blauen Lilien vor der Fassade und niedrigen Hecken entlang dem Weg zur Tür. In der Einfahrt war ein weißer Ford Taurus mit dem Aufkleber einer Leihwagenfirma geparkt. Ken Lowell öffnete mir die Tür. Er war im blauen Anzug und hatte ein Filofax in der Hand. Seine Schuhe waren blank poliert, und sein Haar war naß.
    »Guten Morgen. Ich bin gerade auf dem Weg nach draußen.« Er führte mich in einen parkettierten Korridor. Auf einem Marmortisch in einer Ecke stand eine Vase mit weißen Seidenblumen. Der Treppenaufgang war ein sanft geschwungener Bogen aus glänzendem Eichenholz. Die Zimmer zu beiden Seiten des Korridors waren dunkel, verhangen mit schweren cremefarbenen Damastvorhängen und vollgestopft mit polierten Möbeln.
    »Hübsch«, sagte ich.
    »Die Besitzer sind über Nacht nach Europa verschwunden. Die Kühltruhe und die Kleiderschränke sind noch voll. Ich glaube, sie hatten mit einem Einkaufszentrum zu tun, das nie aufmachen wird. Man sucht nach ihnen.«
    »Kommt so etwas öfter vor?«
    »Ja, besonders in den letzten zwei Jahren. Es ist unser Spezialgebiet. Wir kaufen die Häuser billig von den Banken, setzen kurzfristig Mieter rein, und dann verkaufen wir und machen unseren Schnitt. Pure Ausbeutung, nicht wahr? Als ich in Berkeley war, hätte ich nie gedacht, einmal so etwas zu machen.«
    »Was haben Sie denn studiert?«
    »Ich hab es meiner Schwester Jodie nachgemacht: Archäologie. Nach ihrem Abschluß ging sie nach Nepal, um herumzuklettern und zu forschen. Ich flog ihr nach, und wir

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