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Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Auch das will ich loswerden. Ich will meinen Kopf aufräumen. Wie stelle ich das am besten an?«
    Ich dachte über eine Antwort nach. Mein Zögern erschreckte sie.
    »Was ist los? Stimmt etwas nicht mit mir? Hat man bei den Tests im Krankenhaus etwas gefunden?«
    »Nein, Sie sind vollkommen gesund.«
    »Was dann? Was verschweigen Sie mir?«
    »Es sind Dinge zum Vorschein gekommen, die vielleicht mit Ihrem Traum zu tun haben, vielleicht auch nicht. Angesichts der Belastungen, denen Sie in letzter Zeit ausgesetzt waren, weiß ich nicht, ob ich darüber reden soll. Versprechen Sie mir, sich nicht aufzuregen?«
    »Ja, ja, nun sagen Sie schon.« Sie versuchte die Hände still zu halten und zwang sich zu einem Lächeln.
    »Sie erinnern sich an keine Begegnung mit Lowell, doch Ken sagt, Sie hätten einen Sommer bei ihm verbracht, im Sanktum. Nicht nur Sie, auch Ihre Geschwister, Ken, Peter und Jodie.«
    »Wann soll das gewesen sein?«
    »In dem Sommer, als es eröffnet wurde. Sie waren vier Jahre alt.«
    Ihr Gesicht wurde grau. »Sie meinen, es könnte wirklich passiert sein?«
    »Ich weiß nicht, Lucy. Das versuchen wir herauszufinden. Teile des Traums scheinen mit Fakten übereinzustimmen. In dem Sommer fand dort eine Riesenparty statt. Das würde die Lichter und den Lärm erklären. Und die Gebäude auf dem Gelände sind wie Blockhütten gebaut.«
    Sie hatte die Fäuste geballt. »Und das andere?«
    »Ich weiß nicht.«
    Sie begann zu zittern. Ich hielt sie fest, bis es aufhörte. Sie holte tief Luft, ihre Schultern lockerten sich. Sie hatte die Augen geschlossen, und einen Moment lang dachte ich, sie wäre in den halbhypnotischen Zustand verfallen, in dem ich sie vor wenigen Tagen erlebt hatte. Schließlich schaute sie mich an und fragte: »Was verschweigen Sie mir noch?«
    »Milo und ich haben nachgeforscht, ob zu der Zeit in der Gegend Verbrechen bekannt wurden. Wir fanden keine Morde oder Vergewaltigungen, aber wir stießen auf einen Vermißtenfall. Ein Mädchen. Sie wurde nie gefunden. Sie hatte langes dunkles Haar und lange Beine, aber das traf sicher auf viele Mädchen zu. Wir wollen nicht voreilig sein.«
    »Mein Gott.«
    »Es ist gut möglich, daß es überhaupt keinen Zusammenhang gibt. Ich wollte nicht gleich damit rausrücken, weil solche Theorien Ihre Erinnerung verzerren könnten.«
    »Was wissen Sie sonst noch über dieses Mädchen?«
    »Ihr Name war Karen Best. Sie verschwand am Abend vor der Party. Zuletzt gesehen wurde sie in Paradise Cove, fast zwanzig Kilometer von Topanga entfernt, und es gibt keinen Beweis, daß sie je im Sanktum war. Das einzige, was im Moment zu Ihrem Traum paßt, ist ihr Aussehen, aber wie gesagt: Langbeinige Mädchen gibt’s viele. Außerdem: In Träumen können sich Realität und Phantasie nahtlos mischen. Sie waren vier Jahre alt und könnten etwas gesehen haben - irgend etwas -, das eine kindliche Psyche nicht verarbeiten kann.«
    »Zum Beispiel?«
    »Etwas Sexuelles, wie Sie in Ihrer ersten Deutung vorschlugen. Kleine Kinder, die Zeugen von Sexualakten werden, interpretieren sie oft als Gewalt.«
    Sie krümmte den Rücken und kaute an den Fingernägeln.
    »Warum kommt das erst jetzt zum Vorschein, nach all den Jahren?«
    »Es könnte durch den Prozeß ausgelöst worden sein. Oder Sie sind jetzt zum ersten Mal stark genug, sich diesen Erinnerungen zu stellen.«
    »Dieses Mädchen - Karen. Haben Sie ein Foto von ihr?«
    »Nicht bei mir, aber ich kann eins besorgen.«
    »Ich möchte es sehen. - Hatte sie Familie?«
    »Ihr Vater lebt noch, und ein Bruder.«
    »Haben Sie die getroffen?«
    »Nur den Vater. Der Bruder lebt im Osten.«
    »Stammt sie aus dem Osten?«
    »Ja, aus Massachusetts. Sie kam hierher, um Schauspielerin zu werden, und endete als Kellnerin.«
    »Die Ärmste. Haben Sie ihrer Familie von mir erzählt?«
    »Ich habe dem Vater gesagt, jemand erinnere sich vielleicht, wie ein Mädchen, das dem Äußeren nach seine Tochter gewesen sein könnte, verschleppt wurde.«
    »Wie nahm er es auf?«
    »Er hofft, es ergibt sich etwas daraus.«
    »Ist er immer noch auf der Suche nach ihr?«
    »Eigentlich nicht. Nicht mehr aktiv. Er hat damals nichts unversucht gelassen, um sie zu finden.«
    »Er liebt sie also. Vielleicht könnte ich ihm helfen. Könnten Sie mich nicht hypnotisieren? Ich habe gehört, daß man auf die Weise Erinnerungen freilegen kann. Ich bin bestimmt ganz einfach zu hypnotisieren. Manchmal fühle ich mich sowieso, als liefe ich in Trance durch die Gegend.«

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