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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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Handgelenk und drehte sich dann einen Joint. Schlagartig zog sich sein Arsch zusammen, und er fühlte sich besser, nein bestens, unendlich gut. Die Frau erzählte ihm von ihrem Bruder, der das Familiengeschäft mit Heroin betrieben hatte, aber an TB und Drogen gestorben war. Zwei Schwager krepierten an geheimnisvollen Krankheiten, die sie dem Garad zuschrieb, und ihr Mann, ebenfalls Garaduli, war Anfang des Jahres vom Zug gefallen und hatte sie allein mit zwei Kindern zurückgelassen, usw., usw., usw. Wie Regen glitt das Klagelied an ihm ab, während er auf ihre Brüste starrte, vielmehr auf die Brust, da nur eine zu sehen war, eine erbärmliche Zitze, an der das Vampirbaby nuckelte und noch beim Hingucken fetter wurde. Es war kein Jahr alt; öliges schwarzes Haar klebte an der Stirn, und sein Kopf war der einer alten Sau, die Zukunft ihm ins Gesicht geschrieben: vaterlose Kindheit, kleinkriminelle Jugend, als Teenager Garad oder Alkohol, danach weitere Verbrechen, Krankheiten, das übliche Ende. Warum hast du noch ein Baby gekriegt, fragte er die Frau. Du hast kein Geld, dein Mann war ein Garaduli, und es gab schon ein Maul zu stopfen, warum also noch eins? Das Gesicht der Frau war verschwitzt, ein Gummiband hielt das ölige schwarze Haar zusammen. Sie nahm das Baby von der Brust und streckte es ihm hin. Halt, dann weißt du es, sagte sie. Er entdeckte einen Tropfen cremeweißer Milch an ihrem schwarzen Nippel. Sie lächelte scheu und zog die Bluse hoch, um sich zu bedecken, und erst dann sah er sich das Etwas in seinen Händen an. Kaum erblickte ihn das Baby, begann es zu weinen. Er wollte dem missgestalten Zwerg die Hand schütteln, denn diese Reaktion war das erste Anzeichen von Intelligenz, das er an diesem Tag gesehen hatte. Er hielt das Kleine von sich fort und musterte es, die Farbe, unberührbar, und der Geruch, ein reifer, Übelkeit erregender Mix aus Talkumpuder und Kokosöl der Marke
Parachute
. Er wollte es mitnehmen, aber wie? Und was wäre eine angemessene Bezahlung für die Mutter? Ein-, zweitausend Rupien? Irgendwas von dem, was er fühlte, musste sich durch Ureinwohnervoodoo auf die Mutter übertragen haben. Gib es zurück, sagte sie. Gib her, gib. Das Baby schrie jetzt aus Leibeskräften, der Mund offen, die Augen fest zusammengepresst, und ihn beeindruckte der Lärm, den es machte. Er wusste, es fehlte nicht viel, dass die Mutter um Hilfe schrie, und im selben Moment würden die männlichen Mitglieder ihres Verbrecherclans vor der Tür stehen. Also gab er das Baby zurück, trat aus dem Zimmer und folgte der offenen Abflussrinne zur Straße. In allen Hütten, an denen er vorbeiging, kochte eine Frau, während ihr Mann Schnaps trank und die Kinder in unmittelbarer Nähe in die Rinne kotzten oder pissten. Er mied kleine Haufen wässriger Scheiße und malte sich aus, wie eine große Feuerbombe Armut und Elend im Murugan Chawl hinwegfegte, eine schöne, mächtige Explosion, die den ganzen Slum vernichten und seine Einwohner schnurstracks in die nächste Welt schicken würde. Jetzt lächelte er und war bereit, es mit den Arschlöchern in der Reha aufzunehmen, aber erst musste er noch eine letzte Sache erledigen, dabei hatte er den Taxifahrer ganz vergessen, der immer noch wartete und ungeduldig vor seinem verdammten Scheiß-Fiat auf und ab lief. Chalo, sagte er dem Mann, der ohne zu murren einstieg, und er wies ihn an, nach Bandra East zu fahren, dem Slum am Bahnhof, der so arm war, dass er nicht einmal einen Namen hatte. Dort besorgte er sich ein Gramm Charlie und gönnte sich zum Ausgleich noch rasch eine Line – oder auch drei.
    •••
    Soporo sagte, er wolle ein Geständnis ablegen, und lief auf der Bühne ein paar Schritte, geistesabwesend, wie ein kranker Mann, griff dann nach der Flasche und nahm erneut einen bedächtigen Schluck. Statt eines Geständnisses aber machte er einen Witz. Er sagte, wenn er sich so umschaue in diesem Saal voller Sünder und Heiliger, junger und alter Menschen, dann wisse er, dass sein Geständnis sicher nichts Besonderes sei. Aber ich will’s trotzdem ablegen, sagte er, schließlich ist das hier genau der richtige Ort dafür. Dann holte er aus und sagte, er sei ein ungebildeter Mensch, und wenn doch nicht gerade ungebildet, so sei er doch nie zu einer weiterführenden Schule gegangen. Während seiner Kindheit und Jugend in China habe sich ihm jede Gelegenheit zum Lernen geboten, er aber habe sich fürs Arbeiten entschieden und sei dann nach Indien gekommen, um ein

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