Narcopolis
werde
er rasch müde. Er sagte, es bliebe nur eines, das er noch ansprechen wolle, ehe dieses Treffen zu Ende gehe. Er wolle über vorsätzlich begrenzte Lebensdauer reden. 1979 oder 1980 habe er seinen ersten englischsprachigen Film gesehen, und zwar im Eros, damals Bombays größtes Kino, in der Nähe der Churchgate Station, wie sie ja alle wussten, und falls sie es nicht kannten, sollten sie es unbedingt kennenlernen. Der Film spielt in Los Angeles in einer nicht allzu fernen Zukunft, vielmehr in der unmittelbaren Zukunft. Soweit er sich erinnere, handelt er von einer Corporation, die hochintelligente Kampfmaschinen herstellt, menschlich aussehende Wesen, die sich nach wenigen Jahre selbst zerstören, nach fünf Jahren oder vier, da die Corporation, und darin eben typisch Corporation, von paranoiden Bürokraten geleitet wurde, die nicht wollten, dass auf dem Planeten Erde eine Rasse von Übermenschen herumlief. Als aber die Zeit ihres Endes naht, werden die brillanten, mit menschlicher Güte und Wut gesegneten oder verfluchten Killermaschinen immer verzweifelter. Sie beschließen, zum Kopf der Corporation vorzudringen, dem Schöpfer, ihrem Gott, der sie nach seinem Bild geformt hat, dabei sieht er ihnen in Wahrheit gar nicht ähnlich, ist unschön, intellektuell, distanziert. Sie finden einen Weg, in die Festung vorzudringen, in der er lebt, und wollen ihn überreden, die in ihren Zellen verankerte Todesstrafe aufzuheben, die Strafe der beschleunigten Alterung, wie sie es nennen. Sie begehren auf, und der Zuschauer im Kinosessel spürt die Erregung, die sie packt, als ihre menschlichen Zellen Gott herausfordern. Doch selbst Gott kann ihr Schicksal nicht ändern: Einmal niedergeschrieben bleibt es unumkehrbar. Leise redet der Anführer der Renegaten auf seinen Schöpfer ein. Vater, ich will leben, sagt er. Dann küsst er ihn und zerquetscht ihm den Schädel, wie es Söhne nun einmal mit ihren Vätern machen. Die Schar schöner Maschinen stirbt eine nach der anderen, bis nur noch ihr Anführer übrig ist, der Schönste und Gefährlichste von allen; als aber seine Zeit kommt, gewährt er unvermutet Gnade. Er erlaubt dem Detective, der ihn gejagt hat, weiterzuleben, diesem korrupten, menschlichen Detective, der seine Geliebte und all seine Freunde umgebracht hat, der sie verfolgt hat und kein Erbarmen zeigte, diesem Killer gestattet er zu leben, rettet ihn sogar, da er im letzten Augenblick, als er spürt, dass es zu Ende geht, sentimental wird. Und welcher Zuschauer könnte seine Qual nicht wenigstens ansatzweise nachvollziehen? Hier legte Soporo eine Pause ein und ließ den Blick über den Saal wandern, bis er am Kreuz hängenblieb, das Soporo betrachtete, als hätte er nie zuvor etwas derart Seltsames gesehen; dann wiederholte er die Worte
vorsätzlich begrenzte Lebensdauer
. Ich frage mich, fuhr Soporo fort, ob Sie diese Wendung kennen; ich bin erst kürzlich darauf gestoßen, weiß nicht mehr wo. Der Gedanke dahinter ist Folgender: Konzerne entwickeln Produkte von kurzer Lebensdauer wie etwa die schicken Computer, die ich heutzutage überall sehe, Computer mit blitzenden Logos, der biblischen, angebissenen Frucht etc., hübsche Dinger, die so gebaut sind, dass sie sich selbst zerstören, damit man in ein paar Jahren ein neues kauft, dann wieder eines und noch eines, und so nährt man das Insektenempire, nährt diese Insekten in ihren Insektenanzügen, die mit getunten Insektenhirnen Insektengedanken denken. Also, sagte Soporo, um zum Ende zu kommen, er wolle zwei Punkte festhalten. Erstens, nichts von dem, was er gesagt habe, sei originell oder neu; es seien Ideen, die er aufgegriffen habe, von dem, was Leute gesagt oder nicht gesagt hatten, von vor langer Zeit oder gerade eben erst aufgeschnappten Fetzen, kollektive Gedanken oder Gefühle. Zweitens, er wolle ein Gegenmittel gegen die begrenzte Lebensdauer vorschlagen, ob nun vorsätzlich begrenzt oder nicht, auch zur Alterung, ob beschleunigt oder nicht. Er denke dabei an eine in der Gruppe vorgebrachte Klage, einen Gong, der in China stets etwas Kollektives oder miteinander Geteiltes meine. Die Klage, die er im Sinn habe, sei kurz, wie könnte es auch anders sein, da keine Klage lang genug sein könne, um dem Kummer dieser Welt Ausdruck zu verleihen. Er schlage deshalb vor, dass alle Anwesenden einige Augenblicke an die Menschen denken, die sie verloren haben, an die Mädchen, Jungen, Männer und Frauen, die das Garad auf dem Gewissen hat, und dass sie dann die
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