Narcopolis
hinab, wo er im Wasser auf eine Gelegenheit wartete, noch einmal mit ihr reden zu können.
9 Die Pfeife kommt zu Rashid
Sie wickelte die Pfeifen in ein Musselintuch und brachte sie zu Rashid. Es war noch früh am Morgen. Die Fliegengittertür ließ Licht ein, und im Radio wurde ein Song aus dem Film
Pyaasa
gespielt, Geeta Dutt besang den Herzschmerz. Bei der Musik musste sie an die Kinohits ihrer Jugend denken, an die verbotenen Ausflüge zu den Tardeo Talkies, um Raj Kapoor und Guru Dutt zu sehen, an all die Sepia-Sehnsucht und die Wochenschauen mit staatlichen Bildern über Wirtschaft und Krieg. Der Raum stammte noch aus der gleichen Ära, einer Zeit in Schwarzweiß. Als Dimple mit den Pfeifen eintrat, las Rashid eine Urdu-Zeitung und saß da wie gestrandet, umringt von einer Flasche und Gläsern, Zigaretten, Pfeifen, dreckigem Geschirr und alten Kleidern. Er wirkte nicht überrascht, sie zu sehen, und fragte als Erstes, ob sie Tee wolle. Ich kann vom Balkon runterrufen, sagte er. Ich zieh mir ein Hemd an und bestell Tee.
»Ich möchte keinen Tee, Mr Rashid. Danke.«
»Okay, kein Problem, kein Problem. Was kann ich für dich tun?«
»Ich habe Ihnen was mitgebracht.«
Sie wickelte die Pfeifen aus, legte sie auf den Boden und griff nach der längsten, gut einen Meter von Anfang bis Ende.
»Mindestens fünfhundert Jahre alt, hergestellt von einem chinesischen Pfeifenmeister. Dank der Holzqualität und der Alterung viel besser als unsere Pfeifen.«
»Ist sie nicht zu lang?«
»Nein, sie funktioniert nach demselben Prinzip wie eine Huka. Die Länge ist enorm wichtig; so kühlt der Rauch auf dem Weg vom Pfeifenkopf zum Mundstück.«
»Du hast deine Rede geübt.«
»Ja, Sir, ein bisschen.«
Ihm gefielen ihre Manieren, die konservative Kleidung, ihre Art, Hindi mit Englisch zu mischen. Er sah zu, wie sie Lampe, Öl und Chandu vorbereitete, und das gefiel ihm auch, der Anblick einer Frau, die ruhig eine Pfeife zubereitete, denn eine Inderin in einer Chandu-Khana war ein seltener Anblick. Sobald sie fertig war, klopfte sie an den Pfeifenschaft, und er brauchte einen Moment, einen Augenblick umständlichen Hantierens, um sich an das große Mundstück zu gewöhnen. Doch sie hatte recht: Die Pfeife war ein Kunstwerk, das Holz rötlich braun gefleckt, alte Messingverzierungen an Mundstück und Kopf. Vielleicht bildete er es sich ja nur ein, aber der Rauch schmeckte besser; er konnte tiefere Züge nehmen, und eine einzige Pyali hielt viel länger vor.
»Wie viel willst du dafür? Vielleicht nehme ich beide.«
»Ich will die Pfeifen nicht verkaufen, Mr Rashid.«
»Nenn mich Rashidbhai oder nur Bhai, nicht Mr Rashid; wir sind hier nicht in Amerika.«
»Lassen Sie mich hier arbeiten, Bhai. Ich will Pyalis zubereiten und mich um die Pfeifen kümmern.«
Er sagte, er könne sie nicht bezahlen. Sie bekäme drei Pyalis am Tag und Trinkgeld. Sie könne in der Khana essen, müsse aber woanders schlafen.
»Einen Platz zum Schlafen habe ich, aber ich rauche vier Pyalis am Tag – und nur gutes Opium.«
»Meines ist das beste auf dieser Straße. Wo hast du bisher geraucht?«
Es überraschte ihn zu erfahren, dass Mr Lee real gewesen war. Wie alle Welt hatte er Geschichten von einer chinesischen Khana irgendwo auf der Shuklaji Street gehört, sie aber als Hirngespinste abgetan. Da er jedoch den Wert alter Überlieferungen kannte, flocht er Mr Lees Geschichte in seine eigene Geschichte ein. Rashid erzählte von nun an gern, er habe die Pfeifen vom alten Chinamann höchstpersönlich gekauft. Er erzählte es, bis er schließlich selbst daran glaubte, und mit jedem Erzählen fügte er neue Einzelheiten hinzu. Mr Lee habe im Sterben gelegen, als er nach Rashid schickte; ihm die Pfeifen zu übergeben, war das Zweitletzte, was er vor seinem Tod tat; als Letztes hatte er geraucht. Er wollte, dass niemand sonst die Pfeifen bekam, nur Rashid, weil er sie dahin geben wollte, wo sie von bestem Nutzen waren; ursprünglich hatten die Pfeifen dem Kaiser von China gehört, waren dann in die Hände der Armee gefallen, und so weiter.
•••
Um das Opium der Qualität von Mr Lees Pfeifen anzupassen, gab er weniger Wasser in den Kochsud. Bald strömten Stammgäste, Touristen und viele Leute in die Khana, die nur auf einen Besuch hereinschauten. Der Preis einer Pyali stieg von zwei auf drei Rupien, aber da Rashids Opium allem anderen qualitativ überlegen war, beklagte sich niemand; wenn überhaupt, dann lief das Geschäft sogar
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