Narkosemord
Kontaminierung zutraf, dann bedeutete das, daß der Killer, Bostons Dr. oder Mr. oder Mrs. X, bereits viermal zugeschlagen hatte. Wenn er doch nur irgendeinen Beweis liefern konnte, bevor der Mörder es erneut tat.
Jeffrey wollte gerade die Papiere, die den Commonwealth-Hospital-Fall betrafen, wieder in den Umschlag stecken, als sein Blick auf den Kostenfestsetzungsentscheid fiel. Er schüttelte bestürzt den Kopf. Wie in seinem eigenen Fall lag der Betrag auch hier in Millionenhöhe. Was für eine Verschwendung, dachte er. Er sah nach, wie hoch die Schadenersatzsumme in dem anderen Verfahren war. Sie war sogar noch höher als beim Commonwealth-Hospital-Fall.
Jeffrey legte die Protokolle in einen Rückgabekorb. Dann verließ er das Gerichtsgebäude. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, aber es war immer noch bedeckt und kalt, und der Himmel sah so aus, als würde es jede Minute wieder anfangen zu regnen.
Jeffrey erwischte auf der Cambridge Street ein Taxi und wies den Fahrer an, zur Countway Medical Library zu fahren. Er lehnte sich zurück und entspannte sich. Er freute sich darauf, einen verregneten Nachmittag in der Bibliothek zu verbringen. Eines der Dinge, die er vorhatte, war, sich in Toxikologie einzulesen. Er wollte insbesondere sein Wissen über die beiden Hauptdiagnoseinstrumente dieses Gebiets auffrischen: den Gaschromatographen und den Massenspektrographen.
10
Donnerstag, 18. Mai 1989, 16 Uhr 07
Kelly schloß ihre Wohnungstür auf und stieß mit dem Fuß dagegen. Sie hatte alle Hände voll mit ihrem Regenschirm, einer kleinen Tüte mit Lebensmitteln und einem großen Briefumschlag.
»Jeffrey!« rief sie, während sie den Umschlag und die Einkaufstüte auf den Dielentisch legte, das silberne Teeservice vorsichtig zur Seite schiebend. Nachdem sie ihren nassen Regenschirm in die Toilette gestellt hatte, ging sie zurück zur Tür und machte sie zu. »Jeffrey!« rief sie erneut. Konnte es sein, daß er weggegangen war? Als sie sich umdrehte, stieß sie einen leisen Schrei der Überraschung aus. Jeffrey stand in dem Türbogen, der zum Eßzimmer führte. »Jetzt hast du mir aber einen Schrecken eingejagt«, sagte sie, eine Hand an die Brust pressend.
»Hast du mich denn nicht gehört?« fragte er. »Ich habe doch aus dem Wohnzimmer zurückgerufen.«
»Puh!« sagte Kelly und atmete einmal tief durch. »Ich bin froh, daß du hier bist. Ich hab’ was für dich.« Sie nahm den Umschlag vom Dielentisch und drückte ihn Jeffrey in die Hand. »Außerdem habe ich dir eine Menge zu erzählen«, fügte sie hinzu. Sie nahm die Einkaufstüte und trug sie in die Küche.
»Was ist das?« fragte Jeffrey und folgte ihr mit dem Umschlag in der Hand.
»Das ist eine Kopie von Henry Nobles Autopsiebericht vom Valley Hospital«, sagte Kelly über die Schulter.
»So schnell?« Jeffrey war beeindruckt. »Wie hast du das bloß so schnell geschafft?«
»Das ging ganz einfach. Hart Ruddock hat ihn per Boten rübergeschickt. Er hat mich nicht mal gefragt, warum ich ihn haben wollte.«
Jeffrey holte im Gehen den Bericht aus dem Umschlag. Elektronenmikroskopische Bilder waren keine dabei, aber er hatte auch keine erwartet. Elektronenmikroskopische Untersuchungen wurden bei einer routinemäßigen Autopsie in der Regel nicht vorgenommen. Doch auch so erschien ihm der Bericht recht dürftig. Er fand eine Anmerkung, daß weiteres Material in den Akten des Leichenbeschauers zu finden sei. Das erklärte den geringen Umfang des Berichts.
Während Kelly die Lebensmittel auspackte, zog sich Jeffrey mit den Unterlagen auf die Couch im Wohnzimmer zurück. Er fand eine Zusammenfassung des Obduktionsberichts, der sich im Büro des Leichenbeschauers befand. Als er sie rasch durchlas, sah er, daß zwar eine toxikologische Untersuchung durchgeführt worden war, diese aber nichts Verdächtiges ergeben hatte. Darüber hinaus sah er, daß bei der mikroskopischen Untersuchung Anzeichen für histologische Schäden an den Nervenzellen der Rückenwurzelganglien und am Herzmuskel festgestellt worden waren. Kelly setzte sich zu ihm auf die Couch. An ihrem Gesichtsausdruck konnte er sehen, daß sie ihm etwas Ernstes zu erzählen hatte.
»Wir hatten heute eine größere anästhetische Komplikation im St. Joseph’s«, sagte sie. »Keiner wollte so recht mit der Sprache rausrücken, aber den Andeutungen nach handelte es sich um einen Epiduralfall. Die Patientin war eine junge Frau namens Karen Hodges.«
Jeffrey schüttelte traurig den
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