Narkosemord
Aufzug wurde ihm plötzlich klar, daß nicht nur jemand aus der Apotheke in Frage kam, sondern auch jemand vom Reinigungspersonal. Wenn er bedachte, welche Bewegungsfreiheit er bereits jetzt, an seinem gerade mal zweiten Arbeitstag, genoß, konnte sich dann nicht auch jeder andere Angehörige des Reinigungspersonals ebenso problemlos Zugang in die Apotheke verschaffen? Das einzige, was dagegen sprach, war, daß die Leute vom Reinigungspersonal wohl kaum über den nötigen Background in Physiologie oder Pharmakologie verfügten. Sie mochten zwar an die Arzneimittel herankommen, aber es fehlte ihnen wahrscheinlich am nötigen Know-how.
Abrupt blieb Jeffrey mit seinem Karren stehen. Wieder dachte er an sich. Niemand wußte, daß er ein Anästhesist mit einem großen Umfang an Fachwissen war. Was hinderte eine mit vergleichbar differenzierten Kenntnissen ausgestattete Person daran, sich genauso wie er eine Stellung beim Reinigungspersonal zu verschaffen? Das erweiterte den Kreis der möglichen Täter abermals.
Als schließlich der ›Feierabend‹ nahte, fiel Jeffrey plötzlich wieder O’Shea ein. Er machte sich Sorgen, daß der Kerl zurückkommen und Kelly unter Druck setzen würde. Wenn ihr irgend etwas zustoßen sollte, würde er sich das nie und nimmer verzeihen. Um halb sieben rief er bei ihr an, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging, und um zu fragen, ob O’Shea womöglich noch einmal aufgetaucht war.
»Ich habe während der ganzen Nacht nichts von ihm gehört oder gesehen«, beruhigte sie ihn. »Als ich vor einer halben Stunde aufgestanden bin, hab’ ich draußen nachgeschaut, ob er sich irgendwo rumtreibt. Es standen weder fremde Autos auf der Straße, noch war sonst irgend jemand zu sehen.«
»Vielleicht sollte ich doch besser in ein Hotel ziehen, damit wir ganz sicher sein können.«
»Mir wär’ lieber, du bleibst hier«, sagte Kelly. »Ich bin überzeugt, daß es besser als ein Hotel ist. Und ehrlich gesagt, fühl’ ich mich selbst auch sicherer, wenn du hier bist. Wenn du Bedenken hast, vorne reinzukommen, dann schließ’ ich dir die Hintertür auf. Am besten, du läßt dich von einem Taxi auf der Straße hinter meinem Haus absetzen und gehst zwischen den Bäumen hinein.«
Es rührte Jeffrey, daß Kelly ebensoviel daran lag, daß er bei ihr blieb, wie ihm selbst. Er mußte zugeben, daß er unendlich viel lieber bei ihr wohnte als in einem Hotel. Mehr noch, er war bei ihr sogar lieber als in seinem eigenen Haus.
»Ich lasse die Rollos runtergezogen. Und wenn’s an der Tür klingelt oder das Telefon läutet, mach’ einfach nicht auf beziehungsweise geh’ nicht dran. Niemand wird erfahren, daß du hier bist.«
»Okay, okay«, sagte Jeffrey. »Ich bleibe.«
»Aber ich habe eine Bitte«, sagte Kelly.
»Und die wäre?«
»Jag mir nicht wieder so einen Schrecken ein, wenn ich heute nachmittag nach Hause komme.«
Jeffrey lachte. »Versprochen«, sagte er mit einem Schmunzeln. Fragt sich nur, wer wen mehr erschreckt hat, dachte er.
Um sieben Uhr brachte Jeffrey seinen Karren zurück zur Hausmeisterei. Als der Aufzug abwärts fuhr, schloß er die Augen. Sie fühlten sich an, als wären sie voller Sand. Er war so müde, daß ihm fast übel war.
Er stellte seinen Karren ab und ging in den Umkleideraum, um sich umzuziehen. Die Kopien, die er sich von den Listen gemacht hatte, steckte er in die Gesäßtasche.
Er schloß seinen Spind ab und stand auf. In dem Moment kam David zur Tür herein. Er blieb vor Jeffrey stehen und musterte ihn argwöhnisch aus dem Augenwinkel. »Du sollst sofort in Mr. Bodanskis Büro kommen.«
»Ich?« Jeffrey bekam einen fürchterlichen Schreck. War seine Tarnung aufgeflogen?
David studierte ihn mit zur Seite geneigtem Kopf. »Irgendwas an dir ist faul, Frank«, sagte er. »Bist du ein Spitzel, den die Verwaltung auf uns angesetzt hat, um zu überprüfen, ob wir unseren Job richtig machen?«
Jeffrey lachte nervös. »Wohl kaum«, antwortete er. Daß David einen solchen Verdacht haben könnte, auf die Idee wäre er niemals gekommen.
»Wieso will dich dann der Personalchef um sieben Uhr morgens sprechen? Der Mann fängt normalerweise frühestens um Viertel nach acht an.«
»Ich hab’ nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte Jeffrey. Er ging um David herum und zur Tür. David folgte ihm. Zusammen stiegen sie die Treppe hinauf.
»Wie kommt es, daß du nicht wie normale Leute Essenspause machst?« fragte David.
»Weil ich keinen Hunger hab’«, sagte Jeffrey. Aber daß
Weitere Kostenlose Bücher