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Narkosemord

Titel: Narkosemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Stück dahinter wendete er erneut und parkte schräg gegenüber von Kelly Eversons Haus, etwa fünfzig Meter versetzt. Er war sich noch nicht schlüssig, wie er am besten vorging. Aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß es, wenn dies der Fall war, am besten war, erst einmal gar nichts zu tun und einfach abzuwarten.

 
    12
     
    Freitag, 19. Mai 1989, 11 Uhr 25
     
    »Der Rest ist für Sie«, sagte Jeffrey zum Taxifahrer, als er vor dem städtischen Leichenschauhaus ausstieg. Der Fahrer erwiderte etwas, das er nicht verstehen konnte. Er beugte sich zu ihm hinein.
    »Entschuldigung, was haben Sie gesagt?« fragte Jeffrey.
    »Ich sagte: fünfzig Cent? Das soll ein Trinkgeld sein?« Um seiner Verachtung den richtigen Nachdruck zu verleihen, warf er das Wechselgeld aus dem Fenster und jagte mit durchdrehenden Rädern davon.
    Jeffrey schaute noch einen Moment, wie die zwei Quarter über den Bürgersteig kullerten und liegenblieben. Er schüttelte den Kopf. Bostoner Taxifahrer waren ein Volk für sich. Er bückte sich und hob die Münzen auf. Dann blickte er an der Fassade des Bostoner Leichenschauhauses hoch.
    Es war ein altes Gebäude, überzogen mit einer graubraunen Schmutzpatina, die noch in die Zeit zurückging, als die meisten Haushalte in Boston mit Kohle geheizt hatten. Die Fassade war verziert mit stilisierten ägyptischen Motiven, aber die Wirkung war alles andere als majestätisch. Das Gebäude sah eher nach der Kulisse eines Horrorfilms aus als nach einem Haus der medizinischen Wissenschaft.
    Jeffrey ging durch den Vordereingang und stieg die Treppe hinauf, dem Schild »Leichenbeschauer« folgend.
    »Kann ich Ihnen helfen?« fragte ihn eine matronenhafte Frau, als er sich dem Schalter näherte. Hinter ihr standen in wahlloser Anordnung fünf altmodische Metallpulte. Auf jedem davon stapelten sich, scheinbar ebenso wahllos, Berge von Briefen, Formularen, Umschlägen und Handbüchern. Jeffrey kam sich vor, als hätte er einen Sprung zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit gemacht. Die Telefone, allesamt grimmig schwarz, hatten noch Wählscheiben.
    »Ich bin ein Arzt vom St. Joseph’s Hospital«, stellte sich Jeffrey vor. »Ich interessiere mich für einen Fall, der, soweit ich weiß, für heute zur Autopsie vorgesehen ist. Der Name ist Karen Hodges.«
    Statt Jeffrey eine Antwort zu geben, nahm die Frau ein Klemmbrett vom Tisch und fuhr mit dem Finger die Liste entlang. Als sie etwa in der Mitte angekommen war, sagte sie: »Das ist einer von Dr. Warren Seiberts Fällen. Ich kann Ihnen leider nicht genau sagen, wo er im Moment ist. Wahrscheinlich oben im Sektionssaal.«
    »Und wo finde ich den?« fragte Jeffrey. Obwohl er fast zwanzig Jahre lang in Boston als Mediziner praktiziert hatte, war er noch nie im städtischen Leichenschauhaus gewesen.
    »Sie können den Fahrstuhl nehmen, aber davon würde ich Ihnen lieber abraten«, antwortete die Frau. »Gehen Sie um die Ecke, und nehmen Sie die Treppe. Oben gehen Sie durch die erste Tür rechts und gleich danach links. Sie können es nicht verfehlen.«
    Jeffrey bedankte sich. Er hatte den Spruch »Sie können es nicht verfehlen« schon oft gehört. Diesmal stimmte er. Noch ehe er auch nur in der Nähe des Sektionssaals war, konnte er ihn bereits riechen.
    Die Tür war halb offen. Jeffrey spähte zaghaft von der Schwelle aus in den Raum, unschlüssig, ob er einfach hineingehen sollte. Der Saal war etwa fünfzehn Meter lang und vielleicht zehn Meter breit. Eine Reihe von Fenstern mit Milchglasscheiben füllte den größten Teil einer Wand aus. Ein altmodischer Ventilator, der sich auf einem stählernen Aktenschrank befand, verteilte den Gestank gleichmäßig im Raum.
    Drei Sektionstische aus Edelstahl standen dort, und auf jedem lag eine nackte Leiche. Zwei der Leichen waren Männer, die dritte war die einer Frau. Die Frau war jung und blond, und ihre Haut war wie Elfenbein, aber mit einem leicht bläulichen Stich.
    An jedem der Tische arbeitete ein Team von je zwei Personen. Der Raum war erfüllt von dem Geräusch von Schneiden, Schlitzen, Sägen und gedämpfter Unterhaltung. Jeffrey vermutete, daß es alles Männer waren, aber er war sich nicht sicher. Sie trugen allesamt OP-Kleidung und Gummischürzen. Ihre Augen waren hinter Plexiglas-Schutzbrillen verborgen, ihre Gesichter von OP-Masken verdeckt, und ihre Hände steckten in dicken Gummihandschuhen. In einer Ecke stand ein großes Waschbecken aus Speckstein, aus dessen Hahn ununterbrochen Wasser lief. Auf dem

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