Narkosemord
Rand des Spülsteins stand ein Kofferradio, das völlig unpassend Soft-Rock spielte. Jeffrey fragte sich, was Billy Ocean wohl denken würde, wenn er diese Szenerie sehen könnte.
Jeffrey stand fast eine Viertelstunde in der Tür, ehe einer der Männer von ihm Notiz nahm. Er kam an Jeffrey vorbei, als er zum Spülstein wollte, um etwas, das wie eine Leber aussah, unter dem fließenden Wasser abzuspülen. Als er Jeffrey gewahrte, blieb er stehen. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er mißtrauisch.
»Ich suche einen Dr. Seibert«, antwortete Jeffrey, ein leichtes Ekelgefühl unterdrückend. Pathologie hatte nie zu seinen Lieblingsfächern gehört. Er hatte Autopsien während seiner Studienzeit immer gehaßt.
»He, Seibert, hier möchte dich jemand sprechen!« rief der Mann über die Schulter.
Einer der beiden Männer, die über der Leiche der Frau standen, blickte auf, dann schaute er zu Jeffrey herüber. In einer Hand hielt er ein Skalpell, die andere Hand steckte tief im Rumpf der Leiche.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er. Sein Ton war weitaus freundlicher als der seines Kollegen.
Jeffrey schluckte. Er fühlte sich ein wenig mulmig. »Ich bin ein Arzt aus dem St. Joseph’s«, sagte er. »Aus der Anästhesie. Es würde mich interessieren, was Sie bei einer Patientin namens Karen Hodges gefunden haben.«
Dr. Seibert zog die Hand aus der Leiche, nickte seinem Assistenten zu und kam zu Jeffrey herüber. Er war einen halben Kopf größer als Jeffrey. »Waren Sie der Gasmann bei dem Fall?« fragte er. Er hatte immer noch das Skalpell in der Hand. Seine andere Hand war blutverschmiert. Jeffrey konnte es nicht über sich bringen, tiefer als bis zur Schulter des Mannes zu blicken. Seine Schürze war über und über mit Blut verschmiert. Jeffrey zog es vor, ihm in die Augen zu sehen. Sie waren stahlblau und hatten etwas sehr Einnehmendes an sich.
»Nein, der war ich nicht«, antwortete Jeffrey. »Aber ich hörte, die Komplikation sei während einer Epiduralanästhesie aufgetreten. Mein Interesse an dem Fall rührt daher, daß es in den letzten vier Jahren mindestens vier vergleichbare Komplikationen hier in Boston gegeben hat. War das Anästhetikum, das Karen Hodges bekommen hat, zufällig Marcain?«
»Das kann ich noch nicht sagen«, erwiderte Seibert, »aber die Akte ist in meinem Büro - den Gang runter links, gleich hinter der Bibliothek. Wenn Sie wollen, können wir sie uns zusammen anschauen. Ich bin hier in fünfzehn bis zwanzig Minuten fertig.«
»Der Fall, an dem Sie da gerade arbeiten - könnte es sein, daß das Gail Shaffer ist?« fragte Jeffrey.
»Ganz recht«, antwortete Seibert. »Das erstemal in meiner Karriere, daß ich zwei gutaussehende Frauenleichen hintereinander habe. Scheint heute mein Glückstag zu sein.«
Jeffrey ließ die Bemerkung unkommentiert. Er hatte mit dem Humor der Pathologen schon immer seine Probleme gehabt. »Bereits irgendwelche Hinweise für die Todesursache gefunden?«
»Kommen Sie«, sagte Seibert mit einem Wink seiner blutverschmierten Hand. Er ging zurück zu dem Tisch.
Jeffrey folgte ihm zögernd. Er wollte nicht zu nahe heran.
»Sehen Sie das hier?« fragte Seibert, nachdem er Jeffrey seinem Kollegen Harold vorgestellt hatte. Er zeigte mit dem Griff seines Skalpells auf die Platzwunde an Gails Haaransatz. »Muß ein Mordsschlag gewesen sein. Hat den Knochen regelrecht in die Stirnhöhle reingedrückt.«
Jeffrey nickte. Er begann durch den Mund zu atmen. Er konnte den Gestank nicht ertragen. Harold war damit beschäftigt, die Eingeweide herauszuholen. »Könnte der Schlag sie getötet haben?« fragte Jeffrey.
»Möglich«, antwortete Seibert, »aber das NMR war negativ. Wir werden Genaueres sagen können, wenn wir das Hirn rausholen. Offenbar hat sie auch irgendein Herzproblem gehabt, obwohl es da keine Vorgeschichte gab. Wir werden uns das Herz also ganz besonders sorgfältig anschauen.«
»Werden Sie sie auch auf Drogen untersuchen?«
»Aber sicher«, erwiderte Seibert. »Wir machen eine komplette toxikologische Analyse von ihrem Blut, vom Liquor, vom Gallensaft, vom Urin und sogar vom Mageninhalt.«
»Warte, ich helf dir«, sagte Seibert zu seinem Assistenten, als er sah, daß Harold mit dem Herauslösen der Bauchorgane fertig war. Seibert griff nach einer langen flachen Pfanne und hielt sie Harold hin, während dieser die glitschige Masse aus Gails Bauch herausnahm und sie mit einem klatschenden Geräusch in die Pfanne plumpsen ließ.
Jeffrey wandte
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