Narkosemord
nieste noch ein drittesmal, bevor Kelly die Tür zum Arbeitszimmer schloß.
In der Küche machte Kelly einen Vorschlag. »Warum bleiben Sie nicht zu einem vorgezogenen Abendessen? Ich kann uns rasch etwas zaubern. Ein Feinschmeckermenü wird’s nicht, aber gut auf alle Fälle.«
»Ich dachte, Sie wollten zu Ihrem Aerobic-Kurs«, erwiderte Jeffrey. Er war entzückt über ihr Angebot, aber er wollte ihr nicht mehr zur Last fallen, als er es bereits tat.
»Trainieren kann ich jeden Tag«, sagte Kelly. »Abgesehen davon habe ich das Gefühl, daß Sie ein bißchen Fürsorge vertragen können.«
»Na, wenn es Ihnen nicht zu umständlich ist.« Jeffrey staunte über so viel Freundlichkeit.
»Mir bereitet es Spaß«, sagte sie. »Machen Sie es sich auf der Couch bequem. Ziehen Sie die Schuhe aus, wenn Sie möchten.«
Jeffrey nahm sie beim Wort. Er setzte sich und legte die Bücher auf den Couchtisch. Eine Zeitlang sah er ihr zu, wie sie in der Küche hantierte und in den Kühlschrank und diverse Schränke schaute. Dann zog er die Schuhe aus und lehnte sich zurück, um in Chris’ Notizen zu blättern. Das erste, was er fand, war eine handschriftliche Zusammenfassung der Komplikationen, zu denen es in diesem tragischen Fall bei der Anästhesie gekommen war.
»Ich muß ein bißchen einkaufen!« rief Kelly. »Bleiben Sie ruhig hier.«
»Sie sollen keine Umstände machen.« Jeffrey tat, als wolle er aufspringen, aber in Wirklichkeit freute er sich darüber, daß Kelly sich seinetwegen solche Mühe machte.
»Unsinn«, sagte Kelly. »Ich bin wie der Blitz wieder hier.«
Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Er hörte, wie sie in der Garage ihren Wagen anließ, dann herausfuhr und auf der Straße beschleunigte.
Er schaute sich in dem behaglichen Zimmer und der Küche um und war froh über seinen Entschluß, Kelly anzurufen. Neben dem Entschluß, sich nicht umzubringen und nicht wegzufliegen, war es die beste Entscheidung, die er in den letzten vierundzwanzig Stunden getroffen hatte.
Er machte es sich bequem und wandte sich Chris’ Aufzeichnungen zu.
Henry Noble, 57 Jahre alt, weiß, männlich, wollte sich im Valley Hospital einer Prostata-OP wegen Krebs unterziehen. Dr. Wallenstein bat um kontinuierliche Epiduralanästhesie. Ich besuchte den Patienten am Abend vor der OP. Er war leicht beunruhigt. Gesundheitszustand gut. Herzstatus normal, EKG normal. Blutdruck normal. Neurologischer Befund normal. Keine Allergien. Speziell keine Medikamentenallergie. Hatte 1977 wegen einer Hernie-OP eine Vollnarkose ohne Probleme. Lokalanästhesie bei mehreren Zahnbehandlungen ebenfalls ohne Probleme. Wegen seiner Unruhe verordnete ich 10 mg Diazepam oral eine Stunde vor der OP. Am nächsten Morgen erschien er in guter Stimmung. Diazepam hatte gut gewirkt. Patient war leicht schläfrig, aber ansprechbar. Er wurde in den Anästhesieraum gefahren und in rechte Seitenlage gebracht. Epiduralpunktion mit 18er Epiduralnadel ohne Probleme. Keine Reaktion auf Injektion von 2 ml Lidocain. Epiduralposition bestätigt durch Injektion von 2 ml Aqua dest. mit Epinephrin. Feinkalibriger Epiduralkatheter durch Epiduralnadel eingeführt, Patient wieder in Rückenlage gebracht. Aus einer 30-ml-Ampulle wurde eine Testdosis mit 0,5%igem Marcain mit einem kleinen Quantum Epinephrin hergestellt und injiziert.
Unmittelbar darauf klagte Patient über als Schwindelgefühl beschriebene Beschwerden, gefolgt von schweren Intestinalkrämpfen. Herzfrequenz begann zu steigen, allerdings nicht in dem Ausmaß, das bei versehentlicher Injektion der Testdosis zu erwarten gewesen wäre. Dann zeigten sich allgemeine Muskelzuckungen, die auf Hyperästhesie schließen ließen. Massiver Speichelfluß trat ein, ein Hinweis auf parasympathische Reaktion, es wurde Atropin intravenös gegeben. Myotische Pupillen. Der Patient erlitt dann einen epileptischen Anfall, der mit Succinylcholin und Valium behandelt wurde, es erfolgte dann die Intubation und Beatmung und anschließend ein Herzstillstand. Das Herz erwies sich als extrem medikamentenresistent, aber schließlich gelang es, einen Sinusrhythmus herbeizuführen. Der Patient konnte stabilisiert werden, kam aber nicht wieder zu Bewußtsein. Verlegung auf die chirurgische Intensivpflegestation, dort, blieb er eine Woche komatös mit mehreren Herzstillständen. Dokumentiert war überdies eine vollkommene Lähmung nach der Anästhesiekomplikation, von der nicht nur das Rückenmark, sondern auch Schädelnerven
Weitere Kostenlose Bücher