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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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anderen subversiven Elementen, die mit jedem Tag mehr und immer frecher wurden, zeichnete sich eine beängstigende Lage ab. Den Lauf der Zeit, befürchtete der Fürst, würde er trotz seines effizienten Überwachungssystems nicht mehr aufhalten können.
    Plötzlich blickte der Kanzler auf. Er hörte ganz deutlich einen Männerchor, hier, mitten in der Stadt. Irritiert schob er den Stoff vor dem Fenster zur Seite, sah aber nur das k.k. Hofburgtheater zu seiner Rechten.
    »Was kommt dort von der Höh’,
was kommt dort von der ledern’ Höh’,
ça, ça, ledern’ Höh’,
was kommt dort von der Höh’?
Es ist der Fuchsmajor,
es ist der ledern’ Fuchsmajor,
ça, ça, Fuchsmajor,
es ist der Fuchsmajor.«
    Das bekannte Spottlied auf den Kanzler, das zurzeit ganz Wien sang, schallte kräftig und immer lauter, aber so sehr sich der alte Mann auch bemühte und nach allen Seiten reckte, er konnte nicht erkennen, woher der Gesang kam.
    Die Kutsche wurde langsamer und Metternich versuchte, den Grund dafür zu entdecken. Vor den Fenstern seiner Kutsche wogte eine riesige, dunkle Menschenmasse, die den Burgplatz füllte, so weit man schauen konnte. Und dann sah er sie, die Sänger der Akademischen Legion, die am Michaelerplatz bis zur Burg ein Spalier für ihn bildete, durch das seine Kutsche musste. Die Studenten in der ersten Reihe, mit ihren lächerlichen Spitzbärten und bunten Bändern am Rock, zogen ihre Mützen und federgeschmückten Hüte, verneigten sich theatralisch tief. Die Menge, die hinter ihnen versammelt war, schwang zornig die Fäuste und schimpfte laut.
    Der alte Kanzler zuckte bei jedem Aufschrei zusammen. Die Gasse war schmal, und als seine Kutsche an den grinsenden Sängern vorbeirollte, trat einer der Fahnenträger sogar wie zum Trotz einen Schritt vor und intonierte ein kräftiges Solo, den Ton Metternichs imitierend:
    »Ihr Diener, meine Herr’n,
Ihr Diener, meine hochzuverehrenden Herr’n,
ça, ça, hohen Herr’n,
Ihr Diener, meine Herr’n!«
    Lautes Gelächter war die Folge. »Sie lachen …«, murmelte Metternich, »sie spotten und lachen vor den Soldaten … und wenn sie lachen, dann haben sie keine Angst mehr.«
    Die Soldaten des k.k. Leibgardeinfanterieregimentes in ihren dunkelgrünen Waffenröcken machten dem Gespann mühsam den Weg in das Michaelertor frei. Sie drohten mit ihren Spießen und Bajonetten, schrien die Menschen an, aber die Studenten und Bürger wichen nur zaghaft zur Seite. Endlich schwangen die schweren Flügel des Tores auf und die Kutsche rollte in das Innere der Einfahrt, wo der Kutscher die Pferde nur mit Mühe zum Stehen brachte. Sie spürten etwas Böses, das in der Luft lag, schnaubten und tänzelten, zerrten an ihren Geschirren.
    »O weh, wie wird ihm schlecht,
o weh, wie wird ihm ledern schlecht,
ça, ça, ledern schlecht,
o weh, wie wird ihm schlecht!
    So kotz’ er sich ’mal aus,
so kotz’ er sich ’mal ledern aus,
ça, ça, ledern aus,
so kotz’ er sich ’mal aus.«
    Der revolutionäre Gesang der Menge brach sich am Gewölbe, die Hunderte Stimmen hallten wider und wider. In den Ohren des Kanzlers klang es wie das Grollen eines erwachenden Vulkans. Endlich, mit einem dumpfen Knall, schloss sich die Pforte der Hofburg und es herrschte zumindest ansatzweise Ruhe. Metternich wusste jetzt, es war die Ruhe vor dem Sturm und diesmal würde ihn die Böe der Geschichte nicht verschonen.
    »Mein lieber Metternich, heutzutag’ sind die Völker auch wer!«, hatte der »gute« alte Kaiser Franz vor Jahren in seiner breiten Wiener Mundart einmal im Vertrauen zu Metternich gesagt, aber der Fürst hatte ihm nicht recht glauben wollen. Zu weit hergeholt, zu phantastisch war ihm die Aussage des Kaisers erschienen, um sie ins Kalkül zu ziehen. Wie es aussah, hatte der Kaiser recht behalten. Der alte Kanzler stieg aus der Kutsche, gestützt von seinem Kutscher, der ihn besorgt anblickte.
    »Es ist schon gut«, wehrte der Fürst leise ab, »es ist schon gut.« Dann ging Metternich die breite Treppe in die Hofgemächer hinauf. In den Gängen und Zimmerfluchten des josephinischen Traktes der Wiener Burg herrschte chaotische Betriebsamkeit. Livrierte, Sekretäre und sogar Kammerherren liefen aufgeregt zwischen den Räumen hin und her. Alles Zeremonielle war angesichts der Belagerung durch die Protestierenden vom Hof abgefallen. Metternich verzog angewidert das Gesicht und bahnte sich mit energischen Schritten durch das hektische Durcheinander seinen Weg zum Audienzzimmer des

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