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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Metternich ein.
    »Alle anderen scheiden aus der Thronfolge aus, werden aus der sogenannten ›Liste der Lebenden‹ gestrichen«, stieß der Fürst hervor und biss sich zornig auf die Lippen. Er vermied tunlichst jeden Blickkontakt mit Sophie, die er am Fenster schwer atmen hörte.
    »Danke, mein lieber Metternich«, gluckste Ferdinand, »danke!«, und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.
    Der Fürst nickte wortlos. Ich habe dir die Krone aufgesetzt und ich nehme sie dir auch wieder ab, schoss es ihm beim Anblick des zufriedenen Monarchen durch den Kopf, der mit halb offenem Mund erneut auf einen imaginären Punkt auf der Wand starrte und die Konferenz vergessen zu haben schien. Metternich bebte vor Zorn. Der Franzi wird Kaiser und wenn nicht er, dann ein anderer, so wahr mir Gott helfe, dachte er, als plötzlich Schüsse vor der Hofburg krachten und lautes Geschrei ertönte. Der Kaiser schreckte auf und starrte mit geweiteten Augen auf das Fenster.
    Ferdinand wurde blass, hob die Finger zum Mund.
    »Das kommt aus der Herrengasse …«, stieß Erzherzog Ludwig hervor, »das Militär ist vorgerückt und greift an.«
    »Erzherzog Albrecht hat anscheinend die Nerven verloren«, stellte Metternich unbeeindruckt fest. Bald wurde das Feuer von den Studenten auf den Barrikaden erwidert und ein heftiger Schusswechsel setzte ein.
    »Wenigstens der ist ein Mann …«, fauchte Sophie, funkelte die »Geheime Staatskonferenz« an, drehte sich rasch um und beobachtete befriedigt die flüchtenden Wiener durch das Fenster.
    Die Kämpfe dauerten Stunden, bis in die Dämmerung hinein. Sie sollten die alte kaiserliche Residenzstadt in ihren politischen Grundfesten erschüttern. Obwohl Soldaten die Barrikaden der Studenten niederrissen und die Toten abtransportierten, dauerte es nicht lange und eine große Menschenmenge fand sich erneut auf dem Platz vor der Burg ein. Stumm, anklagend, wartend.
    Der Livrierte schloss geräuschlos die Türe des kaiserlichen Audienzzimmers hinter Metternich und zog unmerklich die Augenbrauen nach oben. Er durfte sich seine Überraschung und Freude nicht anmerken lassen. Es war zweifellos der alte Kanzler, der da vor seinen Augen nach draußen taumelte. Gebrochen, entmachtet, kreidebleich.
    Im selben Augenblick brauste draußen auf dem Platz tosender Jubel wie Donner auf. Hunderte Kehlen schrien und sangen vor Begeisterung, ungezählte Hände applaudierten, Hüte wurden in die Luft geschleudert und Musikanten spielten einen Tusch. Kaiser Ferdinand trat an das Fenster, lüftete seinen Zylinder und rief seinem jubelnden Volk zu: »Ich gewähr euch alles! Ich gewähr euch alles!«
    Metternich wusste, dass dies nur einen Waffenstillstand bedeutete. Der Hof packte bereits seine Koffer, um nach Innsbruck zu flüchten. Und der Kaiser? Er spürte ganz deutlich, dass die Tage seiner Herrschaft gezählt waren …
    Der Kanzler schüttelte den Kopf, nestelte mit zittrigen Fingern an seinem hohen, gestickten Kragen herum und atmete schwer. Das alles konnte nur ein böser Traum sein. Vor seinen Augen tanzten glühende Fünkchen, das Sternparkett unter seinen Sohlen schwankte und die Tapisserien an den Wänden drehten sich. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, wie in Trance. Erst als er die triumphierenden Blicke der Domestiken links und rechts der Türen in den schier endlosen Zimmerfluchten spürte, rang er um Contenance, richtete sich auf und sah ihnen voll Eiseskälte ins Gesicht. Aber keiner senkte den Blick. Selbst die Kammerherren trugen eine unbewegte Miene zur Schau, aber Metternich wusste genau, was in ihren Köpfen vorging. Er hatte sie alle durchschaut, auf dem glatten, diplomatischen Parkett zum Ausrutschen gebracht, sie alle kraft seines überlegenen Geistes übervorteilt, den Freiherrn von Stein genauso wie Talleyrand, den hinkenden Teufel aus Paris, selbst den pompösen Napoleon und sogar den »guten« Kaiser Franz. Und jetzt? Jetzt hatte ihn ausgerechnet der »depperte Nanderl« so en passant erledigt.
    Der Kanzler war tief enttäuscht. Nicht vom Kaiser, sondern wegen seiner eigenen Leichtgläubigkeit und Vertrauensseligkeit. Zum Glück war das nicht immer so gewesen und es hatte eine Zeit gegeben, da war er vor dem Kaiser auf der Hut gewesen. Mit Befriedigung dachte Metternich an die Hintertür, die er sich offen gelassen hatte – für genau den Fall, der heute eingetreten war: die vier Dokumente, die er vor dreiunddreißig Jahren in weiser Voraussicht an die Vertreter von vier

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