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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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als er in die weiße Kanzel kletterte und den luftgefederten Sitz einstellte. Außerdem übertönt dieser Traum von einem Motor sowieso alles, dachte er und setzte seine Ohrschützer auf. Für ihn war sein Ungetüm der aufregendste Arbeitsplatz Wiens, für andere war das gelbe Monster nur ein lärmender, Dieselwolken pustender Berg Metall, der sich nun quietschend und rasselnd in Bewegung setzte. Die fast hundert Tonnen schwere Maschine ließ den Straßenbelag am Rennweg erzittern – oder das, was nach einem Tag intensiver Bauarbeiten noch davon übrig war.
    Wie in allen Hauptstädten Europas nutzte man in Wien die Sommermonate und die damit verbundene Urlaubszeit dazu, um den dringend notwendigen Ausbesserungsmarathon auf den Straßen zu starten. Dieses Jahr stand der Rennweg auf dem Sanierungsprogramm und Kurecka wusste, was er die nächsten Tage machen würde – ab sieben Uhr morgens die Einwohner der umliegenden Häuser aus ihrem Schlaf rütteln. Er grinste bei diesem Gedanken und wendete seinen Bagger, um weiter stadtauswärts in Richtung Fasangasse zu fahren.
    Kurecka war sich bewusst, dass der Rennweg ein historisches Pflaster war, über weite Teile mit der römischen Limesstraße identisch und für Jahrhunderte eine der wichtigsten Verkehrsachsen aus der Hauptstadt hinaus nach Südosten.
    Auch wenn die Baustellenleiter, Ingenieure und viele seiner Kollegen es nicht für möglich hielten, seit seiner Jugend las er mit Begeisterung alles, was mit Geschichte zu tun hatte. Keine Fernseh-Dokumentation über Ausgrabungen hatte der interessierte Baggerfahrer bisher ausgelassen. Ein Gedanke nagte an ihm: Schließlich könnte er ja eines Tages mit seiner Maschine auf eine kleine archäologische Sensation stoßen, wie schon so viele Bauarbeiter zuvor.
    Und sein gelber Bagger rollte auch heute wieder über zweitausend Jahre Geschichte, und nicht nur einmal dachte Kurecka daran, was er mit einem Schatz machen würde, der vielleicht eines Tages bei Grabungsarbeiten in seiner Schaufel landen könnte. Außer ein paar alten Tongefäßen und einer leeren Metalltruhe, die er aus dem Wiener Untergrund geholt hatte, war bisher allerdings nichts wirklich Sensationelles oder Wertvolles in der riesigen Schaufel gelandet.
    Kurecka winkte im Vorbeifahren einigen Arbeitern zu, die mit Schweißbrennern die alten Straßenbahnschienen, die er am Vortag herausgerissen hatte, in kleinere Stücke schnitten und zum Abtransport vorbereiteten. Am Straßenrand standen die Sicherheitsleute der italienischen Botschaft in kleinen Gruppen beisammen und betrachteten misstrauisch den riesigen Bagger mit seiner erhobenen Schaufel, der überraschend schnell auf seinen breiten Ketten an ihnen vorbeirollte. Kurecka winkte, aber sie musterten ihn nur mit steinernen Mienen, ihre Augen hinter den verspiegelten Ray-Ban-Sonnenbrillen versteckt. Dann eben nicht, dachte er und ließ trotzig den V8 aufheulen, dann sah er bereits sein heutiges Einsatzgebiet näher kommen. Hunderte Meter an teilweise gesprungenen Betonplatten, löchrigem Asphalt und altgedienten Straßenbahnschienen lagen vor ihm. Kurecka senkte die Schaufel und gab Gas.
    Die beiden kleinen Jungen, die an der Hand ihrer Mutter einkaufen gingen, starrten fasziniert auf den riesigen gelben Bagger. Sie wären am liebsten an der Stelle des Fahrers gewesen, der mit einer breiten Schaufel und scheinbar spielerischer Leichtigkeit Betonplatten abhob und sie hinter sich wieder ablegte. Mit offenem Mund und ausgestrecktem Arm bewunderten sie die lärmende Maschine und wurden immer langsamer, da konnte die junge Frau ziehen und zerren, so viel sie wollte. Als sie aber den Grund für die unplanmäßige Verzögerung und die Begeisterung in den Augen ihrer zwei Söhne sah, blieb sie mit den beiden Buben am Straßenrand stehen. Männer und große Maschinen, die brummen und stinken, dachte die junge Mutter amüsiert, da ist es plötzlich völlig egal, ob wir zu spät ins Freibad kommen …
    Sie gab seufzend klein bei und blieb mit den beiden am Straßenrand stehen, direkt vor dem Eingang der Privatschule Sacré-Cœur. Ein hüfthohes Gitter entlang dem Gehsteig, zum Schutz der Schüler angebracht, trennte sie von der Baustelle, und die beiden Jungen pressten sich gegen die Stäbe, als könnten sie dadurch dem Bagger noch ein paar Zentimeter näher kommen. Als der Fahrer ihnen wenig später auch noch fröhlich zuwinkte und dann die Baggerschaufel wie eine Hand schwenkte, waren sie völlig aus dem Häuschen und

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