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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Kaisers.
    Um ein Haar wäre er mit einem Feldzeugmeister zusammengestoßen, der komplett verwirrt aus einem der Zimmer stürmte. Zahlreiche Orden bedeckten die Brust des alten Offiziers, der ein Gesicht machte, als hätte er soeben in einer offenen Feldschlacht überraschend seine gesamte Armee verloren. Metternich wollte ihn schon zurechtweisen, aber da erkannte er in dem derangierten Greis den Kriegsminister Graf Latour, der ihn mit glasigen Augen anblickte, als sähe er einen Geist. »Metternich! Endlich! Sie haben ja keine Ahnung … Dieses Weib hat mich abgefertigt wie einen Schulbuben.« Latour wollte noch etwas sagen, klopfte dann aber nur dem Kanzler auf die Schulter und eilte wortlos davon.
    In Metternich keimte ein Verdacht auf, wer den keineswegs übersensiblen Latour so abgefertigt hatte. Es gab nur eine Frau am Hof, die dazu in der Lage war. Der alte Kanzler legte voller Vorahnung die Hand auf die Klinke und erinnerte sich an die Worte des Grafen Bombelles: »Sie ist das einzige männliche Wesen am Hof zu Wien.« Der Fürst seufzte, drückte die Tür auf und betrat das Audienzzimmer.
    Das Bild, das sich ihm bot, war keineswegs ermutigend. Die »Geheime Staatskonferenz« saß schweigend und mit gesenkten Köpfen um einen großen Konferenztisch voller Papiere und Karten. Eine Frau stand mit verschränkten Armen vor dem Fenster, blickte zornig auf die Menschenmenge vor der Hofburg und wippte leicht auf und ab. Die Spannung in dem Raum schnürte Metternich beinahe den Atem ab. Dann räusperte er sich geräuschvoll, um sich bemerkbar zu machen, und blickte in die Runde.
    »Mein lieber Metternich! Gut, dass Sie da sind. Jetzt sind wir endlich vollzählig. Nehmen Sie doch Platz!«, rief Erzherzog Ludwig freundlich, als er den Staatskanzler erkannte. Der nicht gerade geistreiche Bruder des verstorbenen Kaiser Franz sah den Finanz- und Innenminister Graf Kolowrat-Liebsteinsky auffordernd an, der prompt dem Kanzler einen Stuhl anbot, dann fuhr er fort: »Wie wir soeben erfahren haben, hat die Akademische Legion das Niederösterreichische Landhaus gestürmt, Barrikaden errichtet und sich Waffen aus dem Zeughaus beschafft. Gewiss wisst Ihr in dieser schweren Stunde Rat.«
    Metternich hatte den Eindruck, dass alle Anwesenden erleichtert waren, dass er endlich eingetroffen war. Alle bis auf eine. Erzherzogin Sophie blies verächtlich durch die Nase und fuhr herum. Sie fixierte erst den Kanzler und blickte dann nacheinander jeden Einzelnen am großen runden Tisch an. Ihre schneidende Stimme fuhr durch die atemlose Stille mit einer unerbittlichen Härte. »Oft glaube ich mich eher in einer gut organisierten Republik als in einer Monarchie, meine Herren. Denn wie soll ich mich an die Idee gewöhnen, dass unser armer kleiner Kaiser wirklich mein Gebieter sei, angesichts der …« Sie deutete über ihre Schulter und ließ den Satz in der Luft hängen.
    Ein drückendes Schweigen senkte sich bleiern über die Runde. Auch Metternich blieb stumm und musste ihr doch insgeheim beipflichten. Jedes Kaiserreich brauchte einen starken Kaiser und davon war Österreich weit entfernt. Die Situation vor der Hofburg bot dafür einen deutlichen Beweis. Das Gejohle der Menge drang gedämpft in das Audienzzimmer und lieferte die misstönende Untermalung der Konferenz. Autorität strahlt nur diese Frau aus, dachte Metternich, die Söhne von Kaiser Franz bieten ein jämmerliches Bild.
    Der Kanzler sah hinüber zum Kaiser, der etwas abseits saß, so als gehe ihn das alles nichts an. Ferdinand I., bei Hofe hinter vorgehaltener Hand nur der »depperte Nanderl« genannt, ließ die Füße baumeln und starrte mit offenem, schiefem Mund an die Wand. Sein grotesker Anblick weckte in dem Fürsten Abscheu. Ferdinands Kopf war zu groß, seine Beine und Arme dafür im Verhältnis zum Körper zu kurz, sodass er auch als Erwachsener wie ein monströses Kind wirkte. Vor seinen geistigen Augen sah der Kanzler die zeternden Privatlehrer wieder vor sich, die sich abgemüht hatten, dem Prinzen das allernotwendigste Wissen in den Schädel zu pumpen. Aber das Interesse Ferdinands hatte sich darauf beschränkt, sich in einen Papierkorb zu zwängen und auf dem Boden hin und her zu rollen. Sooft Metternich in den vergangenen Jahren mit einem Anliegen zu ihm gekommen war, hatte ihn eine Vision geplagt: den Kaiser plötzlich im Abfalleimer verschwinden zu sehen. Ferdinand war die Peinlichkeit in Person und Metternich verabscheute ihn zutiefst, hatte es immer getan.

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