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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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europäischen Mächten ausgehändigt hatte, in einem Weitblick, der ihn heute befriedigte. Er hatte die Schriftstücke persönlich auf dem Wiener Kongress an den russischen Zaren Alexander, den britischen Außenminister Lord Castlereagh, den französischen Außenminister Talleyrand ausgehändigt. Wilhelm von Humboldt, der bereits frühzeitig den Kongress verlassen hatte, erhielt seine Kopie per Kurier. Metternich hatte alles bedacht.
    Der Kutscher klappte die hölzerne Treppe aus und öffnete den Fond der Kutsche. Der alte Kanzler nickte einen stummen Dank und wollte einsteigen.
    »Wohin, gnädiger Herr? Nach Hause?«, fragte der Livrierte.
    »Nein, nicht ins Palais …«, antwortete der Fürst nachdenklich. Wie in Trance fügte er dann hinzu: »Auf das Gut Wetzdorf. Rasch!«
    Rennweg, Wien/Österreich
    D aul Wagner jagte die Fireblade durch die Ungargasse, überholte in dritter Spur und dankte allen ihm geneigten Heiligen dafür, dass die Sommerzeit in Wien für einen spärlichen Verkehr mit großen Lücken sorgte und selbst die Demonstranten zuerst ins Freibad und dann erst auf die Straße gingen. Was gestern passiert ist, genügt für mehrere Albträume, dachte er, wich einem unachtsamen Linksabbieger aus und schlängelte sich an der Straßenbahn vorbei. Zwei tote Minister, die blutigen Unruhen in der Innenstadt und der Unfall Ruzickas hatten ihm nur wenige Stunden Schlaf gelassen. Georg war am Abend wohl irgendwo mit seiner neuen Flamme abgestürzt und hatte sich nicht mehr gemeldet.
    Der Reporter gähnte unter seinem Vollvisierhelm. Kommt Zeit, kommt Schlaf, dachte er sich und bremste die Honda noch gerade rechtzeitig vor einem Fußgänger ab, der wohl den Wecker gehört hatte und aufgestanden war, aber die Augen noch nicht aufgemacht hatte.
    Am Rennweg angekommen, ignorierte Wagner die rote Ampel und bog rechts ab, schlängelte sich an einigen Einsatzwagen mit ihrem rotierenden Blaulicht vorbei, um gleich darauf von einem quer über die Fahrbahn gespannten Absperrband der Polizei endgültig gestoppt zu werden. Ein Polizist schlenderte auf ihn zu und hinter ihm konnte Paul hektische Aktivität rund um ein Loch mitten in der Fahrbahn sehen.
    »Immer wieder mal was Neues«, sagte Wagner zu dem Uniformierten, als er seinen Helm abzog, »jetzt machen sie schon Swimmingpools am Rennweg. Eine sommerliche Initiative der Stadtverwaltung?«
    Der Polizist lachte. »Hallo Paul! Und ich dachte, du bist irgendwo am Strand unter Palmen, wie alle anderen vernünftigen Menschen um diese Zeit. Keine Demos, dafür Cuba libre satt.«
    Der Reporter winkte ab und schlüpfte unter der Absperrung durch. »Sagen wir einfach, ich hab den Absprung verpasst und jetzt komm ich nicht mehr los von dieser Stadt. Wer spielt gegen wen?«
    Der Polizist schaute über die Schulter. »Burghardt und Strasser gegen einen abgestürzten Bagger, eine nackte weibliche Leiche und einen entsetzten Schuldirektor, der die Welt nicht mehr versteht.«
    »Brisante Kombination«, entgegnete Wagner und machte sich auf den Weg zu dem großen Loch, aus dem nur mehr die Baggerschaufel ragte und in das Feuerwehrleute jede Menge Stromkabel fallen ließen. »Wer gewinnt?«
    »Schaut ganz gut aus für den Bagger«, rief ihm der Uniformierte lachend nach, »stumm, unbeweglich und nicht leicht zu beeindrucken. Wenn sie den bis heute Abend wieder draußen haben, dann sind sie wirklich gut.«
    Am Rand des Loches in der Straßendecke stand neben den Einsatzkräften der Feuerwehren eine kleine Gruppe Polizisten. Alle blickten gebannt hinab in das Halbdunkel, aus dem zahlreiche Stimmen heraufdrangen. Einer der Uniformierten forderte über Sprechfunk einen Bergekran an, als Wagner neben dem Abbruch in die Hocke ging und hinunterschaute.
    »Willst du die Direttissima nehmen, Paul, oder gehst du den bequemen Weg?«, feixte einer der Polizisten. »Lass den armen Burghardt noch ein paar Minuten im Glauben, dass der Fall ihm gehört. Wenn er dich sieht, dann ist sein Tag sowieso gelaufen.« Alle Umstehenden lachten.
    »Spurensicherung?« Als Antwort auf Wagners Frage gingen rund um den Bagger Scheinwerfer an, die alles in ein gleißendes Licht tauchten. »Auch schon da«, meinte der Reporter leichthin, »ich bin heute scheinbar als Letzter aus dem Bett gekommen.« Dann machte er sich auf den Weg zum Tor der Sacré-Cœur-Volksschule, vor dem ein einzelner Polizist damit beschäftigt war, eine junge Frau mit einem Diktafon in der einen und einem Presseausweis in der anderen Hand

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