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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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verschwand langsam. »So werden wir nicht weiterkommen«, stellte der junge Mann fest. »Ich habe eine Nachricht von Mr. Shapiro, die ich Ihnen aushändigen soll. Ich wollte nur sichergehen …«
    Weinstein unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung und deckte kurz die Sprechmuschel des Telefons ab. »Sie ist es, David, geben Sie ihr den Wisch und machen Sie es nicht kompliziert.«
    Valerie streckte die Hand aus, nahm das Blatt und entfaltete es. Der junge Mann stand noch immer an der Türe und starrte Goldmann an, die bereits die Mitteilung Shapiros überflog. Dann blickte sie auf. »Was ist jetzt? Brauchen Sie ein Quittung?«
    »Sind Sie die Valerie Goldmann?«, fragte David neugierig. »Man erzählt sich hier in der Botschaft einige Geschichten …«
    »… die Sie nicht alle glauben sollten. So, raus jetzt, Autogramm gibt’s keines«, meinte Goldmann trocken und funkelte Weinstein an. »Ich wette, ich kenne den Ursprung der Geschichten nur zu gut.« Der Militärattaché beendete das Gespräch und versuchte einen »Ich doch nicht«-Blick, der schon im Ansatz scheiterte.
    Goldmann lehnte sich über den Schreibtisch und fixierte den Militärattaché. »So, genug geplänkelt! Wann, wie und wo? Machen Sie schnell, Weinstein, ich sollte schon in Berlin sein.«
    Keine zwanzig Minuten später verließ ein dunkler Mercedes den Hof der israelischen Botschaft und brachte Valerie auf dem schnellsten Weg zum Flughafen Wien/Schwechat, wo ein Learjet schon warmlief. Die Mitteilung Shapiros war in einem der schweren Kristallaschenbecher in Weinsteins Büro in Rauch aufgegangen. Sie hatte aus einem einzigen Satz bestanden, der Valerie nicht mehr aus dem Sinn ging:
    »Vertrauen Sie niemandem in der österreichischen Regierung!«
    Russisches staatliches Militärarchiv/Moskau
    D er Plattenbau in der Vyborgskaja Ulija 3 im Norden von Moskau, der das russische staatliche Militärarchiv beherbergte, war eine architektonische Entgleisung aus den frühen Siebzigerjahren, die alle Umstürze unbeschadet überlebt hatte. Die Fassade machte einen heruntergekommenen Eindruck und die ungeputzten Fenster, hinter denen stets zugezogene fleckige Vorhänge jede Sicht ins Innere versperrten, schreckten die Besucher ab und sollten es wohl auch.
    Im krassen Gegensatz zu dem vernachlässigten Zentralarchiv machte das hellbraune klassizistische Gebäude, das im selben Komplex näher an der Leningrader Chaussee stand, einen geradezu gepflegten Eindruck. Versteckt hinter hohen Bäumen gelegen, war das vierstöckige »Sonderarchiv Moskau« den meisten Besuchern der Hauptstadt, selbst wenn sie in wissenschaftlicher Mission unterwegs waren, kein Begriff. Ende der Neunzigerjahre in das Militärarchiv eingegliedert, war die Dokumentensammlung ein brisanter Fall von Geheimhaltung und Verschleierungstaktik. Die Behörden, die schon nach der Perestroika das Archiv offiziell für geöffnet erklärt hatten, schoben die Bestände so lange zwischen dem Staatlichen Archiv der Russischen Föderation, dem Staatlichen Archiv der alten Dokumente und dem Militärarchiv hin und her, bis jedermann den Überblick und die Forscher das Interesse verloren hatten. Viele Archivalien, die als zu sensibel eingestuft worden waren, kamen in gut gepanzerten Lastwagen meist von einem Lager ins nächste, wurden ausgeladen und Monate später wieder auf die Reise geschickt.
    Erst der Beginn des neuen Jahrtausends hatte das Dokumenten-Roulette beendet und es war endlich Ruhe eingekehrt. Das »Sonderarchiv Moskau« war endgültig in dem klassizistischen Bau eingezogen und mangels Verzeichnissen, Karteien oder Bestandslisten nach und nach in Vergessenheit geraten. In den meisten ausländischen Archivverzeichnissen wurde es gar nicht mehr aufgeführt. Wie überall in Russland fehlte auch hier das Geld an allen Ecken und Enden, Posten wurden gestrichen oder gar nicht erst neu besetzt und am Ende sparte man sogar den Pförtner ein und verschloss das Gebäude einfach. Wer hineinwollte, musste läuten. Wenn jemand vom Personal die Klingel hörte, ignorierte er sie. Besonders hartnäckige Besucher wurden vertröstet und mussten schließlich so lange auf die Erledigung ihres Ansuchens warten, dass sie selbst irgendwann wieder darauf vergaßen.
    Anatolij Gruschenko versuchte an diesem Vormittag die schrille Torglocke zu überhören und brühte sich auf dem kleinen Elektrokocher eine weitere Kanne Tee auf. Er war kurz nach dem Umbruch aus dem staatlichen Militärarchiv abgestellt worden und

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