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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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eingebrannten Nummern und zuckte schließlich mit den Schultern. »Es tut mir leid, aber wir können nicht hundert Kisten abtransportieren. Eine oder zwei, kein Problem, vielleicht auch zehn. Aber was dann?« Der Oberarchivar hörte mit offenem Mund zu und schluckte schwer. Diesmal kam die telefonische Antwort prompt.
    »Vergessen Sie es und verlassen Sie das Archiv. Wir werden beraten, wie wir weiter vorgehen, und melden uns dann wieder bei Ihnen.« Damit war die Leitung tot und der Mann ließ das Handy sinken. Dann, mit einer knappen Handbewegung und einem kurzen Nicken in Richtung Anatolij Gruschenko, drehte er sich um und eilte mit schnellen Schritten aus dem Saal, gefolgt von seinen Begleitern. Ihre Schritte verklangen auf der Treppe.
    Der Oberarchivar trat ans Fenster und blickte ihnen nach, als sie das Haus verließen. Er beobachtete, wie der gepanzerte Transporter ausparkte, sich in den Verkehr einreihte und auf die Leningradskoy-Chaussee einbog. Dann schloss er langsam das Fenster und verließ den Saal, tief in Gedanken versunken. Im Treppenhaus nahm er die Stufen in die oberen Stockwerke und ging nicht zurück in sein Büro. Er stieg bis unters Dach.
    Auf dem obersten Treppenabsatz lief eine reich geschnitzte Holzvertäfelung zwischen den Türen und Fenstern, Reminiszenz aus lang vergangenen Tagen. Gruschenko ging zu einer der Doppeltüren, die ganz offensichtlich kein Schloss hatte, drückte einen verborgenen Knopf und mit einem leisen Klick sprang ein kleines Fach in der Vertäfelung auf. Dahinter kam ein hochmoderner Retina-Scanner zum Vorschein und ein grüner Lichtstrahl tastete das rechte Auge des Archivars ab, bevor ein elektronischer Impuls die Tür freigab.
    Gruschenko trat ein und hatte wie immer das Gefühl, mit nur einem Schritt in eine völlig andere Welt zu gelangen. Klimaanlagen summten, an Dutzenden Computer-Terminals wurden Dokumente eingescannt, bearbeitet und registriert. Auf Rollwagen lagen Berge von Ordnern und Mappen. Zahllose Flachbildschirme zeigten Nummern und Codes an, gefolgt von den digitalisierten Versionen der Akten und Briefe, Dekrete und Depeschen. Am Ende des großen Saales, der genau das Ausmaß der Räume darunter hatte, saß hinter einer Glasscheibe ein junger Mann, der dem Oberarchivar erwartungsvoll entgegenblickte. Er war umringt von einer Armada elektronischer Geräte, deren genaue Aufgabe Gruschenko nie durchschaut hatte.
    »Unser großzügiger Sponsor hat soeben angerufen und sich nach den Fortschritten erkundigt«, sagte der junge Mann zur Begrüßung. »Er ist äußerst zufrieden mit unserem Arbeitstempo. Nicht mehr lange und wir sehen das Ende des Tunnels und haben einen Überblick über den Inhalt des Sonderarchivs.«
    Anatolij Gruschenko lächelte. »Wie gut, dass unsere Besucher das nicht gehört haben«, sagte er und schaute auf die Monitorwand, auf der sich klar der Saal im zweiten Stock mit den Kisten aus allen nur erdenklichen Blickwinkeln abzeichnete. »Und wie gut, dass wir die leeren Kisten im zweiten Stock stehen gelassen haben. Eine perfekte Kulisse für ungebetene Gäste.«
    Der junge Operator nickte und suchte dann in seinen Unterlagen. »Es war eine ausländische Nummer, die sie angerufen haben, wir haben sie zurückverfolgt und das Gespräch mitgehört. Sie suchen ein Dokument, und das ziemlich verzweifelt. Ich frage mich, ob es dasselbe ist, hinter dem wir auch her sind.«
    »Aber der Nachlass von Zar Alexander ist fast ganz aufgearbeitet und digitalisiert«, gab der Archivar zu bedenken. »Vielleicht haben wir uns doch geirrt und es gibt ein weiteres Konvolut Dokumente aus dem Besitz der Zarenfamilie. Irgendwo in einem Archiv in Russland …«
    »Nein, das ist so gut wie ausgeschlossen«, antwortete der junge Mann und wischte den Gedanken wie eine lästige Fliege beiseite, »dazu haben wir zu gründlich geforscht. Viel wahrscheinlicher ist, dass jemand die Bedeutung des Dokumentes erkannt und es bereits vor langer Zeit außer Landes gebracht hatte. Aber dann, Anatolij, dann ist es verloren, auch für unsere ausländischen Freunde, denen offensichtlich die Zeit davonläuft.«
    Der Operator zog einen kleinen Zettel unter der Tastatur hervor und zeigte ihn Gruschenko. »Vorwahl 00431. Es war eine Telefonnummer in Österreich. Genauer gesagt das Außenministerium in Wien.«
    Suarezstraße, Berlin-Charlottenburg/Deutschland
    D er schwarze Maybach57 war nicht zu übersehen und mit dem uniformierten Chauffeur, der neben der Luxuslimousine stand, wirkte

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