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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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ganz woanders. »Eine andere Welt, eine andere Zeit. Lang vorbei«, sagte er nach einer kurzen Pause und wirkte plötzlich müde und alt.
    »Mit deinem sind es jetzt drei der Schriftstücke«, fuhr er dann fort, »die wieder aufgetaucht sind, und nur eines davon halten wir in unseren Händen. Aber die Legende vom weißen Elefanten besagt, dass alle vier identisch sind …« Singer schaute in die Runde.
    Valerie war verwirrt. »Davon hat Shapiro auch gesprochen, meinte aber, es gäbe ein Unterscheidungsmerkmal. Er wusste aber nicht, welches.«
    »Dazu muss man den Text erst einmal entschlüsseln«, meinte Paul, der inzwischen das Vergrößerungsglas von Singer genommen hatte und aufmerksam die grünen Buchstaben untersuchte. »Ist euch schon etwas aufgefallen? Oder hat sich das schon ein Experte angeschaut?«
    Valerie klopfte Paul auf die Schulter. »Wieso Experte? Du bist ja da, und soviel ich weiß, ist Geheimschriften entziffern doch ein langjähriges Hobby von dir. Ich kenne niemand Besseren. Warum, glaubst du, hast du einen Privatflug nach Berlin bekommen? Das hier sollte doch zu deinen leichteren Übungen gehören!«
    Peter Marzin unterbrach sie und wandte sich an Singer. »Du sagst, dass es vier Dokumente gibt. Eines in Frankreich, eines in Großbritannien und eines in Russland sind bekannt, das russische haben wir hier vor uns liegen. Wo sind die beiden anderen derzeit, und schließlich – welche Nation hat das vierte Schreiben?«
    13./14. März 1848, Gut Wetzdorf/Österreich
    D ie Entscheidung, ihn, den mächtigen Kaufmann aufzusuchen, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, war Metternich nicht leichtgefallen. Er hatte lange gezögert. Aber die veränderten Umstände erforderten es. Das Exil wartete und wer wusste, ob er jemals wieder zurückkommen würde. Und dann trieb ihn auch noch die Neugier zusätzlich voran.
    Die Fahrt war lang und beschwerlich. Hinaus aus Wien, nordwärts, weg von den geifernden Menschen und dem zögernden und ratlosen Hof. Vor den Fenstern der Kutsche war es Nacht geworden. Finsternis, wohin der Fürst auch blickte, und sein Rücken und Gesäß schmerzten unsäglich. Es war bar jeder Vernunft, durch die Dunkelheit über Land zu reisen, jeder verständige Mensch hätte Quartier in einer der Gaststätten entlang der Route bezogen. Viel zu gefährlich waren in Zeiten wie diesen die unbeleuchteten Wege.
    Endlich tauchten Fackeln, Laternen und erleuchtete Fenster auf, der Kutscher zügelte die dampfenden Pferde. Das großzügige Schloss an der Straße nach Znaim war in Schönbrunner Gelb gestrichen. Aus den zahlreichen Fenstern der Hauptfassade fiel das Licht unzähliger Kerzen wie aus einer Kirche. Entlang der kiesbedeckten Wege brannten Fackeln. Bedrohlich ragte im Feuerschein die Statue des schreitenden Löwen über dem Einfahrtstor in den Nachthimmel, als das Gespann des Fürsten Metternich erschöpft hindurchtrabte. Der König der Tiere sah aus, als wolle er jeden Moment losspringen.
    Fackelträger standen im Hof des zweigeschossigen Schlosses, unbeweglich wie die Marmorstatuen, die den Brunnen schmückten. Als die Kutsche über das Kopfsteinpflaster rollte, trat ein gedrungener Mann im eleganten braunen Gehrock aus einer Türe in den Hof. Die Fackeln ließen die Schatten tanzen und verliehen dem Schloss eine geheimnisvolle Aura. Der Mann hatte einen weiten Mantel aus feinstem Tuch über seine Schultern geworfen, sein Haar war dunkel und seine Augen blitzten schelmisch. Noch bevor Metternich es sich versah, hatte der Hausherr seine Diener zurückbeordert und öffnete selbst den Schlag der Kutsche.
    »Seien Sie auf meinem bescheidenen Gut herzlich willkommen, Exzellenz«, sagte er und in seiner Stimme klang ein leicht amüsierter Unterton mit. »Ich wusste, dass Sie früher oder später kommen würden. Es wurde allerdings später.«
    Metternich betrachtete den bekannten Kaufmann, der die gesamte Armee des österreichischen Kaiserreiches mit Schuhen, Tuch, Uniformen und Proviant ausrüstete, aufmerksam und mit schief gelegtem Kopf. Dann sagte er: »Ich danke Ihnen für den freundlichen Empfang. Ich wollte Ihnen schon lange einen Besuch abstatten, aber wie es aussieht, wird es der erste und gleichzeitig der letzte.« Damit stieg der Kanzler aus und sein Gastgeber führte ihn in den ersten Stock, wo die Empfangssalons lagen.
    Keiner der Domestiken war bei dem anschließenden Essen zugelassen, man speiste allein und trug sich selbst auf. Das war mehr als ungewöhnlich und die

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