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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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eingerichtet, verfügte die Zimmerflucht über zwei Bibliotheken, die jeden Forscher übergangslos in einen Taumel der Verzückung befördern konnten. Katalogisiert, schlagwortmäßig erfasst und außerdem noch nach Erscheinungsdatum geordnet, ließen die Tausende Bände keinen Wunsch offen und so gut wie keine historische Frage unbeantwortet. Meitner, obwohl ein eingeschworener Junggeselle, war der Weiblichkeit keineswegs abgeneigt. Wer ihn allerdings vor die Wahl »Bücher oder Ehefrau« stellte, der hatte in der ausgedehnten Regallandschaft mit den zahlreichen bibliophilen Raritäten eine klare Antwort vor sich.
    Als Georg Sina die Augen aufmachte, schaute er auf einige Quadratmeter lederner Bücherrücken und wusste zuerst nicht, wo er war. Ich sollte vielleicht wieder öfter zu Hause schlafen, dachte er, gähnte und streckte sich. Alles war ruhig in der Wohnung und langsam dämmerte Georg, dass er mit Meitner gestern Abend nach Hause gefahren war und gleich bei ihm geschlafen hatte. Heute früh, verbesserte er sich und schaute auf die Uhr. Dann fuhr er wie von der Tarantel gebissen hoch. Es war fast Mittag.
    Im Wohnzimmer lag ein Notizblock am niedrigen Tisch zwischen den Flaschen einer Sammlung der besten Islay Whiskys. Georg wischte die Erinnerung an die gestrige, gemeinsam unternommene »Verkostung« der Bestände zur Nervenberuhigung beiseite und las die kurze Mitteilung Meitners.
    »Tee ist vorbereitet und wenn du gehst, dann schlag einfach die Tür zu. Wir hören uns.«
    Als Georg aus der Dusche kam, war auch der Tee fertig und die Südterrasse mit dem Holztisch und den Teak-Sesseln einladend genug, um noch für ein paar Minuten die Ruhe und den Blick über Wien zu genießen.
    Kaum war Sina in einen der schweren Stühle gesunken, läutete irgendwo in der riesigen Wohnung das Telefon. Lass es läuten, es geht dich nichts an, überlegte er und versuchte das Schrillen zu ignorieren. Aber wer immer auch dran war, er wollte es nicht wahrhaben, dass Professor Meitner nicht zu Hause war. Fluchend stand Georg endlich auf und ging dem durchdringenden Läuten nach, bis er das Mobilteil auf dem Schuhschrank im Schlafzimmer fand.
    »Apparat Meitner. Mein Name ist Georg Sina, was kann ich für Sie tun?«
    Für einen kurzen Moment war es still auf der anderen Seite der Leitung.
    »Professor Sina? Sind Sie das?«
    »Höchstpersönlich, Sie werden es nicht glauben, auch wenn ich eine Stimme habe wie der Bruder von Marlene Dietrich. Aber das gibt sich wieder, haben alle gesagt, die mitgetrunken haben«, versetzte Georg und nahm einen Schluck Tee. »Wer spricht?«
    »Burghardt hier, wir kennen uns vom letzten Jahr. Ich bin ein Freund von Kommissar Berner und ebenfalls bei der Mordkommission.«
    »Ach ja, ich erinnere mich, der Zigarettenhändler …« Georg lachte. »Berner hat nur in den höchsten Tönen von Ihnen geredet. Und das ist selten bei ihm.«
    »Glauben Sie dem alten Griesgram nur die Hälfte und das ist noch zu viel«, warf Burghardt ein. »Aber was machen Sie bei Professor Meitner? Den hätte ich übrigens gerne gesprochen.«
    »Da sind Sie vermutlich ein paar Stunden zu spät dran, so genau weiß ich das nicht«, gab Georg zu. »Wir haben gestern etwas über die Stränge geschlagen und der gute Professor Meitner hat offenbar eine bessere Konstitution als ich. Jedenfalls ist er schon gegangen.«
    »Das tut mir leid«, erwiderte Burghardt, »wir haben hier ein Problem. Ich bräuchte ihn für eine Identifizierung. Wir haben heute Morgen eine Frauenleiche gefunden …« Der Kommissar verstummte kurz. »Aber warten Sie, wenn ich es mir richtig überlege, können Sie uns auch weiterhelfen. Sie arbeiten ja am selben Institut, oder?«
    Georg stellte vorsichtig die Tasse ab. »Ja, warum? Glauben Sie, dass es eine unserer Studentinnen ist?«
    »Eher jemand vom Institutspersonal«, antwortete Burghardt. »Sagt Ihnen der Name Irina Sharapova etwas?«
    Georgs Hand krampfte sich um die Lehne des Sessels. Der Boden unter seinen Füßen drohte nachzugeben und das Blut in seinen Adern schien plötzlich aus flüssigem Blei zu bestehen. Er versuchte etwas zu sagen, aber er brachte kein Wort heraus.
    »Professor Sina? Sind Sie noch da?«
    Georg holte tief Luft. »Ja, ja, ich bin noch da …«, krächzte er und räusperte sich. »Ja. Sharapova. Assistentin am Institut seit zwei Jahren. Was ist mit ihr?« Er hatte Angst vor der Antwort, unglaubliche Angst.
    »Wir haben Grund zu der Annahme, dass es sich bei der Leiche um Irina

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