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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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vorgenommen wurde. Aber was hat es mit den vier Strahlen auf sich?«
    »Sie meinen die vier Strahlen, aus denen die Klarheit entstehen wird?«, hakte der Wissenschaftler nach.
    Der Minister nickte zustimmend.
    »War es bisher schon ein Meisterstück, so wird es jetzt schlichtweg genial«, gab der Kryptologe zu. »Stellen Sie sich vor, Sie händigen vier Dokumente an verschiedene Länder aus, denen Sie zwar den Schlüssel für die Dechiffrierung gleich mitliefern, vor denen Sie aber den entgültigen Ort, das Versteck der ›Beweise‹, geheim halten wollen. Die Informationen in allen Dokumenten sind die gleichen, nur im Endeffekt konnte niemand wirklich etwas damit anfangen. Denn es gab keine Ortsangabe, keinen Weg zum Schatz sozusagen.«
    Er tippte mit dem Ende seines Bleistiftes auf die kleinen Zahlen rechts unten.
    »Wären da nicht vier verschiedene Zahlen-und Buchstabenkombinationen, die so unscheinbar erschienen, aber in Wahrheit der wichtigste Bestandteil des Plans waren, den Metternich so elegant durchzog. Einer allein konnte mit seinem Schriftstück nichts anfangen.«
    Der Wissenschaftler ging zum anderen Ende des Tisches und kam mit den restlichen drei Dokumenten zurück. »Ich darf Sie daran erinnern – ›Aus vier Strahlen wird die Klarheit entstehen‹. Mit anderen Worten, Sie brauchen alle vier Blätter, um ans Ziel zu kommen.«
    Vorsichtig legte er die Schriftstücke übereinander und hielt sie gegen das Licht.
    »Halten Sie die exakt ausgerichteten Blätter vor eine starke Lampe, dann werden Sie sehen, dass die kleinen Buchstaben- und Zahlengruppen sich zu einem Ganzen zusammenfügen, nämlich zu einer Koordinate. In diesem Fall
    48, 11, 56, 42 Nord
16, 22, 11, 76 Ost
    Niemand hätte mit seinem Dokument allein jemals zu dem Versteck gelangen können, an dem die Wahrheit liegt. Nur alle vier gemeinsam waren dazu in der Lage. Aber Metternich wusste auch, dass genau damit die Sicherheit seines Versteckes garantiert war. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle vier Dokumente zusammenkommen und seine Besitzer sich einig seien würden, war verschwindend gering.«
    Der Minister stand auf und begann auf und ab zu gehen, die Hände tief in seinen Hosentaschen versenkt. »Der Plan war genial, einfach genial, und er hat die Jahrhunderte überdauert. Was für ein Staatsmann«, murmelte er bewundernd. Dann blieb er vor dem Kryptologen stehen und blickte ihm erwartungsvoll in die Augen. »Also wo?«
    »In der alten Technischen Universität Wien am Karlsplatz.«
    Palais Metternich, Rennweg, Wien/Österreich
    E s war deutlich kühler geworden. Ohne die warme Sommerluft, die durch das Loch geströmt war, fiel die Temperatur in der Gruft stetig.
    »Balthasar Jauerling, was für ein schöner Name«, sagte Valerie leise und betrachtete das Skelett, das nun eine Persönlichkeit zu haben schien. »Ein kleiner Mann mit einer großen Vergangenheit.«
    »Ein einflussreicher und gefährlicher Mann«, ergänzte Georg und Berner ließ den Lichtstrahl der Lampe über den zerbrochenen Sarg wandern. »Das Schwarze Bureau war nicht zimperlich, wenn es um Menschenleben ging. Der Kaiser gab einen Wink, schrieb eines seiner berüchtigten Handbillets, und der Mann im Schatten gehorchte wie ein gut funktionierendes Uhrwerk.«
    »Also vergleichbar mit einem Geheimdienst unserer Tage«, meinte Berner, reichte die Lampe an Burghardt weiter und zündete sich eine Zigarette an.
    »Nur noch schlimmer«, wandte Georg ein, »viel schlimmer. Geheimdienste heute werden irgendwann einmal kontrolliert, von staatlichen Stellen, oder die Medien reißen den Schleier von vielen ihrer Aktionen und Einsätze. Damals war Jauerling niemandem Rechenschaft schuldig außer dem Kaiser selbst. Und Joseph II. hätte sich gehütet, seinen besten Mann zu diskreditieren. Der Zwerg war der Herrscher der Schatten, die dunkle Seite der Macht. Er entschied über Leben und Tod, vielleicht mit einem Wink seines Stockes.«
    Alle beugten sich über den Sarg und sahen, dass selbst im Tod die skelettierten Finger den Knauf des Stockes fest umklammert hielten.
    »Ich habe mir schon beim ersten Mal eingebildet, ich hätte einen Stock gesehen«, brummte Berner.
    »Viele Kleinwüchsige hatten Schwierigkeiten mit dem Rückgrat oder der Hüfte«, erklärte Paul, »und je älter sie wurden, desto öfter brauchten sie eine Gehhilfe. Jauerling scheint ganz besonders an seinem Stock gehangen zu haben.«
    Sina stutzte. »Wartet mal, was steht auf seinem Funeralschild? ›Halt an, Pilger, den

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