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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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PRAEMATVRA
d. 9. IUNIUS. 1815
FINITIS ANNIS LXIX.
ABI VIATOR
TVAMQVE CAVSSAM ALIOQVANDO SIC
AGERE DISCE
    »Eine Übersetzung wäre jetzt sehr willkommen, Herr Professor«, gab Paul zu bedenken. »Ich hab zwar rudimentäre Lateinkenntnisse, aber die versagen hier eindeutig.«
    Georg nickte nachdenklich, er war mit seinen Gedanken bereits ganz woanders. »Die langen Schatten des Schwarzen Bureaus«, murmelte er, »Jauerling, Balthasar Jauerling …« Dann drehte er sich um und nahm Berner die Taschenlampe aus der Hand, leuchtete die blutrote Wand mit den goldenen Buchstaben an.
    B.J.G.R.U.K.J.Z
    Er lächelte und las schließlich laut vor: »Balthasar Jauerling, geheimer Rat unter Kaiser Joseph dem Zweiten. Da habt ihr die Bedeutung der Buchstaben.«
    Alle Augen waren auf die goldenen Lettern gerichtet. Dann pfiff Paul durch die Zähne. »Glatter Treffer«, sagte er anerkennend. »Geht das aus dem lateinischen Text hervor?«
    »Mehr oder weniger, hör zu«, sagte Sina und übersetzte sinngemäß: »Halt an, Pilger, den Schritt; stütze dich auf den Stab und siehe! In diesem Grab ruhen die Gebeine eines kleinen, aber kraftvollen Mannes, des sehr vornehmen und gelehrten Herrn Balthasar Jauerling, eines sehr berühmten, geheimen Rates des römischen Kaisers Joseph II., der nie jemandem ein Unrecht zufügte, außer durch diesen Tod. Mag er auch in diesem Leben mit gerichtlicher Untersuchung befasst gewesen sein, hat er nun ohne jeden Rechtsstreit gewonnen in eigener Sache, vor dem göttlichen Gericht, weil Christus sein Anwalt war: So sind seine Taten glücklich übertroffen worden, als er der Natur die Schuld bezahlte durch seinen allerdings verfrühten Tod am 9. Juni 1815 im Alter von 69 Jahren.
    Geh, Wanderer, und lerne, auch deine Causa dereinst so zu führen!«
    Georg verstummte und niemand konnte seinen Blick von dem kleinen Skelett abwenden. Es war, als ob der Tote selbst die Worte gesprochen hatte.
    »Er war es«, sagte Georg schließlich in die Stille, »er war der Mann hinter Metternich. Er war der Leiter des berüchtigten Schwarzen Bureaus.«
    Keiner sprach ein Wort. Es war, als ob die Gewölbe sich gesenkt hätten und der Druck auf den Schultern aller lasten würde.
    Georg schluckte und schloss die Augen. »Gott sei seiner Seele gnädig.«
    Irgendwo in Wien, Innere Stadt/Österreich
    D ie vier alten Dokumente lagen nebeneinander auf einem großen, glänzenden Sitzungstisch und sahen auf der meterlangen Platte klein und unbedeutend aus.
    Die bewaffneten Männer in den schwarzen Kampfanzügen neben der Tür und vor den Fenstern hingegen verliehen der Situation etwas Dramatisches. Sie passten nicht zu den Stilmöbeln, den wertvollen Bildern und dem gewaltigen Lobmeyr-Kristalllüster, der eine Sonderanfertigung gewesen sein musste.
    Über die Dokumente gelehnt, beratschlagten zwei Wissenschaftler und ein Kryptologe, während am anderen Ende des Tisches eine größere Gruppe in dunklen Anzügen miteinander konferierte.
    »Kein Zweifel, alle vier Dokumente beinhalten den gleichen Text. Keinerlei Abweichung bei den sieben Zeilen, alle Buchstaben gleich und die Entschlüsselung ergibt jedes Mal dasselbe Resultat«, meinte der Fachmann für Geheimschriften und blätterte in seinem abgegriffenen Notizbuch. »Darin gibt es keinen Hinweis auf den Platz, an dem die entscheidenden beiden Urkunden versteckt sind, die wir eigentlich suchen.«
    »Nun, wenn wir annehmen, dass die Dokumente zur Zeit des Wiener Kongresses entstanden sind beziehungsweise aus der Hand gegeben wurden, dann muss es sich bei dem Versteck der Urkunden um einen Ort handeln, der leicht wiederzufinden ist«, meinte der Historiker, der als Spezialist für das 19. Jahrhundert besonders beeindruckt von der Entdeckung der bis dahin unbekannten Dokumente war. »Es muss außerdem ein Ort gewesen sein, der bereits existierte, der sicher war, an den man nicht leicht oder aus Versehen herankam, und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Metternich so wichtige Urkunden vergraben ließ.«
    Der Kryptologe schüttelte den Kopf. »Hat er nicht, das glaube ich auch nicht, die Dokumente müssen leichter zugänglich sein.«
    Die Gruppe am anderen Ende des Tisches unterbrach ihr Gespräch und einer der Männer wandte sich an den Geheimschriftenexperten.
    »Haben Sie den Ausdruck mit der Entschlüsselung hier? Der Minister hätte gerne einen Blick drauf geworfen und vielleicht wären Sie so freundlich und würden uns die Vorgehensweise erklären?«
    »Selbstverständlich

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