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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Schritt; stütze dich auf den Stab und siehe!‹«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Valerie. »Ich glaube, man sollte diese Inschrift nicht zu ernst nehmen. Da steht doch auch, dass Jauerling nie jemandem ein Unrecht zugefügt habe, außer durch seinen Tod. Nach dem, was du gerade erzählt hast, ist das glatt gelogen.«
    »Das darfst du jetzt wiederum nicht so ernst nehmen«, lächelte Georg, »das sind Floskeln, die auf allen diesen Medaillons stehen. So wie ›Er ruhe in Frieden‹ oder ›Hier liegt der ehrenwerte Herr XY …‹, auch wenn er gar nicht ehrenwert war. Aber der erste Satz ist seltsam.«
    Der Wissenschaftler nagte an seiner Unterlippe und schwieg. Er ging in die Hocke und begann Dreien auf seinen Handrücken zu zeichnen.
    Burghardt ging mit der Lampe näher an den Knauf des kleinen Stockes heran. Er war schwarz, mit Staub und Moder überzogen.
    »Man kann erkennen, dass er eine seltsame Form hat«, meinte Burghardt und schwenkte die Lampe hin und her. Er wollte ungeduldig zugreifen und den Stock herausziehen, aber Berner hielt ihn zurück.
    »Halt, Burgi! Lass Georg zuerst seine Schlüsse ziehen. Jetzt kommt es nach zweihundert Jahren auf ein paar Minuten auch nicht mehr an«, stellte er fest und blickte auf Sina, der noch immer tief in Gedanken versunken war. »Außerdem haben wir doch keinen wirklich dringenden Termin im Moment, oder? Wir sitzen hier fest, wenn ich dich daran erinnern darf.«
    Dann wandte er sich an Sina. »Stand in dem Brief Metternichs an seinen alten Freund nicht etwas von einem doppelten Boden?«
    Georg nickte und zog das Schreiben aus der Tasche. Paul schaltete seine Taschenlampe ein und das alte Briefpapier leuchtete im Dunkel auf.
    »Wie recht hattest du doch mit deiner Rückversicherung, mein kluger Balthasar. Wir haben den besten Augenblick und die richtigen Adressaten gewählt. Der Wiener Kongress tanzte, aber wir bereiteten den Boden für die Zukunft vor. Vier Wege zum Wissen, vier Bausteine des Geheimnisses. Und doch – der doppelte Boden war eine geniale Idee von Dir. Wie alles, was Du geplant hast, wird auch dieses Konstrukt die Jahrhunderte überdauern, bis die Zeit kommen wird …«,
las Sina leise vor
.
    »Unser Meisterstratege hier hat also einen doppelten Boden eingebaut, für den Fall der Fälle, falls alle Stricke reißen sollten, falls also eines der Dokumente endgültig verloren gehen sollte«, brummte Berner.
    »Ja, ohne Zweifel …« Sina zögerte einen kurzen Moment.
    »Die Aufforderung ›SISTE VIATOR GRADVM‹ ist eine weitverbreitete Wendung in barocken Grabinschriften. Auch wenn wir es hier mit dem Ende des Empires zu tun haben, Jauerling war ein Mann des Spätbarock. Der Einschub ›INNITE IN BACULUM‹ ist eigentlich total ungebräuchlich … Sich auf den Stab stützen …« Sina zog die Brauen zusammen und zupfte sich den Bart. Dann meinte er bestimmt: »Ich glaube, es ist der Stock, der ihn sein Leben lang begleitet hat. Die Rückversicherung waren die vier Dokumente, die Metternich am Wiener Kongress ausgehändigt hat. Aber was wäre gewesen, wenn eines davon plötzlich unauffindbar gewesen wäre, nach, sagen wir, hundert oder zweihundert Jahren?«
    »Tut mir leid, das verstehe ich jetzt nicht. Entweder ihr wisst mehr als ich, oder …«, begann Valerie, aber Georg unterbrach sie mit einer Handbewegung.
    »Ganz und gar nicht. Vier Wege zum Wissen heißt zwar, dass du vier Möglichkeiten hast, an die Information dranzukommen, aber es sind auch vier Bausteine des Wissens«, sagte Georg aufgeregt. »Bernhard hat recht. Du brauchst alle vier, um an das Wissen zu kommen.«
    »Das sind sicher die kleinen grünen Buchstaben- und Zahlenkombinationen rechts unten«, warf Paul ein.
    »Also musste Jauerling sicherstellen, dass es einen Notausgang gab«, bestätigte Georg. »In diesem Sinne lest jetzt den ersten Satz des Funeralschildes: ›Halt an, Pilger, den Schritt; stütze dich auf den Stab und siehe!‹«
    »Das würde aber heißen, dass der Verfasser des Textes das Geheimnis Jauerlings kannte«, gab Berner zu bedenken.
    »Richtig«, antwortete Georg, »und es würde mich nicht wundern, wenn es Metternich selbst war.«
    »Das heißt, es ist noch nichts verloren, selbst wenn wir keines der vier Dokumente in Händen halten?«, fragte Valerie verwundert. »Jauerling hatte auch daran gedacht?«
    »Ich glaube, der Leiter des Schwarzen Bureaus hatte an alles gedacht, er war einer der großen Strategen der Diplomatie und des Verbergens«, gab Georg zu.

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