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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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schaute Maggie gequält an.
    »Ich halte diese Frau nicht aus, das wissen Sie doch«, brummte er verärgert und schloss die Augen.
    »Aber diese Frau hält Sie am Leben«, tönte es energisch aus dem Hintergrund. »Ich wäre auch gerne woanders, glauben Sie mir. Grantige alte Männer sind mir zuwider.«
    Maggie grinste und nickte der resoluten Schwester zu, die selbst in der Hitze der Keys stets einen makellos weißen Mantel und eine Schwesternhaube trug.
    »Ich werde zwar nicht als Ihr Laufbursche bezahlt, aber das hier soll ich Ihnen aus dem Funkraum bringen«, meinte sie und ließ ein Kuvert in den Schoß des Medienmoguls fallen.
    Der alte Mann öffnete die Augen, warf erst einen ärgerlichen Blick auf die Schwester und dann auf den Umschlag und sagte: »Meine Brille.«
    »Noch immer auf Ihrer Stirn«, gab die Schwester ungerührt zurück. »Und es ist Zeit für Ihre Behandlung.«
    »Ach was, es ist zu spät dafür«, entgegnete Wineberg unwillig. »Ich bin so gut wie tot und Sie werden bald arbeitslos, der einzig befriedigende Gedanke, was mein Ableben betrifft. Und ein Toter kann Ihnen kein gutes Zeugnis mehr ausschreiben.«
    »Wann haben Sie eigentlich die letzten Zeilen geschrieben? Vor fünfzig Jahren?«, murrte die Schwester. Dann setzte sie ihm eine Spritze.
    »Haben Sie eigentlich einen Badeanzug unter diesem ewigen weißen Mantel an?«, fragte der alte Mann wie nebenbei und riss den Umschlag auf.
    »Ich will nicht für einen Herzinfarkt verantwortlich sein«, antwortete die Schwester und zog die Nadel wieder aus der Haut.
    »Warum nicht?«, versetzte Wineberg. »Dann wären Sie mich los, mit einem Schlag.«
    »Wen sollte ich dann quälen?«, gab die Schwester trocken zurück, kontrollierte die Messgeräte und überzeugte sich, dass die Sender des Dauer-EKGs klaglos funktionierten. »Mir scheint, Sie werden immer gesünder«, sagte sie zum Abschied, »Sie könnten mein Gehalt erhöhen, schon wegen der aufopfernden Pflege.«
    Wineberg tat, als wäre er bereits in die Fernschreiben vertieft und hätte sie nicht gehört.
    »Schlecht geschauspielert, alter Mann. Ihre Brille ist noch immer auf Ihrer Stirn, Mr Maulwurf.« Damit verließ sie ihn und stieg wieder aufs Hauptdeck hinunter.
    Wineberg runzelte verärgert die Stirn, setzte seine Brille auf und begann zu lesen. Es war ein Bericht Paul Wagners über die Ermordung der beiden österreichischen Minister und vier ominöse Dokumente, die damit in Zusammenhang stehen sollten.
    Das Palais Metternich … Wineberg setzte die Brille wieder ab und dachte nach. Er hatte 1938 Wien verlassen, aber davor war er einmal im dritten Bezirk, in der Ungargasse, um die Ecke des Rennwegs und des Palais, zu Hause gewesen. Dann war er in die Czerningasse gezogen, zu seiner Frau.
    Wien … Der alte Mann erinnerte sich zurück an seine Jugend in der österreichischen Hauptstadt. Aus Alfred Wimberger, dem Laufburschen und späteren jungen Buchhalter im Kaufhaus »Herzmansky« auf der Wiener Mariahilfer Straße, war nach seiner Emigration 1938 auf Ellis Island der Reporter Fred Wineberg geworden, der mit hohen Erwartungen auf den New Yorker Docks gestanden war und die Freiheitsstatue bestaunt hatte. Wien war ihm mit einem Mal so weit weg erschienen wie der Mond, alles war so viel größer, impulsiver, aber auch fremder als im kleinen, provinziellen Österreich.
    Er war in New York geblieben, hatte sich durchgebissen, war immer ein wenig schneller und immer ein wenig besser gewesen als die anderen, manchmal auch ein wenig skrupelloser. Amerika hatte ihn groß gemacht und das vergaß er ihm nie. Aber heimisch war er zwischen San Francisco und New York nirgends geworden, trotz einiger großer Häuser und weitläufiger Anwesen. Wineberg war zeit seines Lebens ein Vertriebener geblieben und ein Getriebener geworden. Dass er nun, am Ende seiner Tage, auf einem Boot lebte, war vielleicht ein Ausdruck dieser Rastlosigkeit.
    Österreich hatte für ihn nach 1945 nicht stattgefunden, und erst als Paul Wagner vor zehn Jahren seine ersten Berichte an UMG schickte, hatte er seine Wurzeln wieder gespürt, das Ziehen in der Herzgegend. Dann war er letztes Jahr zum ersten Mal wieder nach Wien geflogen, war vor dem Riesenrad gestanden und hatte versucht, seine Enkelin für sich zu gewinnen, was gründlich misslungen war. Valerie Goldmann, das in Israel geborene Kind von Winebergs Tochter, hatte ihrem Großvater unmissverständlich klargemacht, was sie von seinem Verhalten vor dem Krieg dachte. Sie

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