Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
hatte ihm vorgehalten, dass er seine schwangere Frau zurückgelassen hatte angesichts der Nationalsozialisten, die vor den Toren Österreichs standen. Wineberg war über Nacht verschwunden – verschwunden aus seinem Leben als Buchhalter, aus seiner Ehe, aus seinem gewohnten Umfeld, aus der gemeinsamen Wohnung in der Czerningasse in Wien-Leopoldstadt. Er hatte alles zurückgelassen und nichts mitgenommen außer einem Schiffsticket und ein paar Diamanten, die ihm sein Onkel vererbt hatte, als er fünfzehn Jahre alt war. Seine Frau hatte er nie mehr wiedergesehen, kein Foto seines Kindes verlangt und bekommen, seiner Familie nie wieder geschrieben. Das alles hatte Valerie ihm schonungslos vorgehalten, bevor sie sich aus der Suite, die Wineberg im Hotel Sacher gebucht hatte, mit den Worten verabschiedet hatte: »Mein Großvater ist für mich gestorben, vor langer, langer Zeit.«
    Das wird nun bald Wirklichkeit, dachte der Medienmogul zynisch und las den Bericht Wagners aufmerksam zum zweiten Mal durch. Das Schmerzmittel tat langsam seine Wirkung und Wineberg atmete auf.
    Die »Incommunicado« manövrierte durch die Einfahrt in die Marina und der Kapitän legte mit wenigen Handgriffen an den Gashebeln und dem Steuerruder das Schiff gekonnt an die Stirnseite des Piers. Die Leinen wurden festgemacht, dann erstarben die großen Dieselmotoren und die Generatoren sprangen an.
    Wineberg griff zum Telefon und rief im Büro der UMG an, wo Elena Millt, eine dunkelhaarige Südstaatenschönheit, in seinem Sekretariat die Geschäfte führte.
    »Millt, United Media Group.« Elenas Stimme klang melodiös wie immer.
    »Wineberg hier! Elena, ich habe Wagners letzte Reportage über die Ereignisse in Wien vorliegen. Stichwort Mord an den Ministern und die vier Dokumente. Hat er danach noch etwas geschickt?«
    »Warten Sie, Mr Wineberg, ich schaue sofort in meinen E-Mails nach.« Der große, alte Mann erhob sich ächzend aus seinem Liegestuhl, während er Elena auf der Tastatur tippen hörte.
    »Ich habe hier noch eine ganz kurze Mail Wagners, in der er den Verdacht äußert, dass der österreichische Bundeskanzler erschossen wurde«, sagte Elena nachdenklich.
    Zum ersten Mal seit langen Jahren war Wineberg sprachlos.
    Elena lauschte, ob ihr Chef noch atmete. »Mr Wineberg, sind Sie noch da?«, fragte sie dann besorgt.
    »Ja, ja«, murmelte der alte Mann geistesabwesend und geschockt. »Noch bin ich da …« Dann fing er sich. »Rufen Sie Paul Wagner an, er soll so schnell wie möglich alles zu diesem Thema an uns schicken. Wir kaufen ihm seine Meldungen exklusiv ab, ich möchte nicht, dass er noch jemand anderen mit diesen Nachrichten beliefert. Haben Sie mich verstanden, Elena?«
    »Ja, selbstverständlich, Mr Wineberg«, gab Millt eifrig zurück und machte sich eine Notiz.
    »Und zahlen Sie ihm das Doppelte, wenn es ein muss«, sagte der alte Zeitungsmacher und zog sich einen Bademantel an. »Aber … Elena?«
    »Ja, Sir?«
    »Erst wenn er danach verlangt, sonst nicht«, knurrte Wineberg und legte auf.
    Technische Universität, Karlsplatz, Wien/Österreich
    D ie frische Luft tut gut, dachte sich Kommissar Berner, selbst wenn es die frische Luft des Karlsplatzes ist, dem berühmtberüchtigten Drogenumschlagplatz mitten im Herz der Stadt. Immer Paul Wagner und seinem Wunderhandy folgend, waren sie bis hierher gelangt, erst mit den beiden Wagen, dann zu Fuß und einem begeisterten Tschak an der Leine, der sich über den Spaziergang freute.
    Georg fragte sich, wie alle anderen auch, wohin die Spur führen, wohin die Koordinaten des Balthasar Jauerling sie nach fast zweihundert Jahren schicken würden. Eine Gruppe Obdachloser saß, in die Betrachtung zweier hechelnder Bullterrier vertieft, auf einer beschädigten Parkbank. Ein paar von ihnen schauten gelegentlich misstrauisch zu ihnen herüber. Ältere Sandler schwankten mit Bierdosen in der Hand an ihnen vorbei und verschwanden im Schatten der hohen Bäume.
    Paul gab unabsichtlich einer der herumliegenden leeren Dosen einen Tritt und sie kullerte laut klappernd vor die Füße von zwei jungen Junkies, die von ihren Ersatzdrogen blau gefärbte Lippen hatten. Ihre Augen starrten glasig ins Leere, sie sahen weder Valerie noch Berner, die hinter Paul und Georg versuchten, den Anschluss nicht zu verlieren.
    An Szenen wie diese waren die Wiener im Resselpark am Karlsplatz gewöhnt und die meisten huschten, ohne einen zweiten Seitenblick auf die Parallelgesellschaft zu riskieren, in die

Weitere Kostenlose Bücher