Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
erzählt habe, nicht wahr?«
    Sina zuckte unbehaglich mit den Achseln und überlegte, wie er, ohne Max zu vergrämen, Paul anrufen könnte.
    »Weil ich weiß, warum du gekommen bist. Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang.« Max ging einen schmalen Weg entlang der Donau und redete vor sich hin. »Der Fernseher im Aufenthaltsraum läuft ständig. Ab und an sehe sogar ich eine Nachrichtensendung. Und dann haben wir da noch den Radiomann. Ja, der Radiomann. Ich nenne ihn so, weil er andauernd ein eingeschaltetes Transistorradio auf der Schulter mit sich herumträgt. Er wechselt ständig die Sender. Als ich ihn gefragt habe, warum er das tut, hat er geantwortet: ›Es gibt doch so viele, und ich muss sie alle hören.‹ Macht ein Zivilist dasselbe mit seinem Fernseher, nennt man es ganz harmlos zappen. Aber bei ihm ist es eine Verhaltensstörung. Er ist freiwillig hier, aber er weiß über alles Bescheid. Also mit anderen Worten, ich bin auf dem Laufenden.«
    Georg war hinter ihm hergegangen und hatte unbemerkt Pauls Nummer gewählt. Er lauschte der Mailboxansage und fluchte im Geiste. Max redete noch immer vor sich hin, während er den Pfad entlangging. »Wir laufen zur Schleuse hinüber. Es ist nicht weit.«
    Sina wählte Berners Nummer. Mailbox. Seine Stimmung sank auf den Nullpunkt.
    »Max!«, rief Georg. »Ich habe wirklich keine Zeit, mit dir spazieren zu gehen. Es gibt ein Ultimatum und ich muss so schnell wie möglich wieder nach Wien zurück.«
    »Wie hast du dir das denn vorgestellt?« Max hielt an, drehte sich um und schaute Sina verärgert an. »Dass du hierherkommst, mich aushorchst und wieder abdampfst? Nein, mein Freund, so läuft das leider nicht. Ich bin meschugge, hast du das vergessen? Erst gehen wir eine Runde. Dann wirst du mit mir zu Abend essen, das gibt es um halb sechs. Du wirst also rechtzeitig wieder in Wien sein. Alles andere wäre …«
    »Respektlos«, ergänzte Sina kraftlos, stand auf und trottete hinterher.
    »Genau! Du hast also nicht alles vergessen«, sagte Werfling erfreut und ging mit federnden Schritten voraus. »Und unterwegs erzähle ich dir, was ich von der Schattenlinie weiß.«
    Bis zum Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug, dem ältesten in Österreich, war es nicht weit. Georg und Max liefen das Stauwerk entlang und zu ihren Füßen brandete das endlos scheinende breite Band des Flusses. Ein wuchtiger Schlepper unter bulgarischer Flagge näherte sich der Schleusenanlage und wartete auf Durchlass. Laut kläffend rannte ein struppiger Hund auf dem Deck des rostigen Frachters hin und her und kräftige Männer in schmutzigen Pullovern machten das Schiff für die Passage klar.
    Max Werfling hatte wie versprochen aus den Jahren seiner Arbeit mit Kirschner erzählt. Der schrullige Professor war erst auf das Pestkreuz und dann auf Balthasar Jauerling aufmerksam geworden, der in Nussdorf ob der Traisen geboren worden war, als eines von vier unehelichen Kindern einer Magd. Jauerling, das Genie, der eben dieses Pestkreuz, das er seine gesamte Jugend vor Augen gehabt hatte, als Chiffre für seine Nachrichten und Depeschen benutzte. Mühsam hatten Kirschner und Werfling in vergessenen Archiven gewühlt und in alten Tagebüchern geblättert. Es war ihnen schließlich gelungen, die Existenz einer weiteren, erbberechtigten Blutlinie der Habsburger, zurückgehend auf Joseph I., aufzudecken. Allein es fehlten ihnen stichhaltige Beweise. Dann war Max krank geworden und schließlich auf eigenen Wunsch eingeliefert worden. Das letzte Jahr hatte Kirschner allein geforscht. Georgs Gedanken rasten. Die Beweise? Die hätte Kirschner Ireneusz Lamberg liefern sollen, dachte der Wissenschaftler. Wenn alles gut gegangen wäre, dann hätte der Professor damit sein Lebenswerk vollenden können. Aber dann wusste er bereits zu viel, hatte zu viele Hintergründe aufgedeckt und bezahlte dafür in einer Augustnacht mit dem Leben.
    Sina erzählte Max kurz von seiner Begegnung mit Lamberg und den Seiten aus dem Tagebuch. »So weit ist mir im Moment auch alles klar«, fasste Georg zusammen. »Wenn ich es recht bedenke, dann habe ich nicht das Tagebuch, sondern nur die daraus entfernten Teile des Journals von Matthias Lamberg bekommen.«
    »So wird es sein«, nickte Max. »Was du gelesen hast, war die Stimme der Donau. Du hast gehört, was es nicht geben sollte.«
    Die beiden Männer waren am Kraftwerk angekommen und stützten ihre Arme auf das Geländer. Vor ihnen lag die Schleusenkammer, die sich langsam mit Wasser

Weitere Kostenlose Bücher