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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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füllte. Georg erzählte Max in kurzen Worten von den Senfgasdepots und dem Ultimatum.
    Der Freund nickte. »Ich weiß mehr, als du glaubst, aber vielleicht weniger, als du hoffst.« Er dachte kurz nach. »Kennst du diesen mitleidigen Gesichtsausdruck, den die Zivilisten machen, wenn sie bemerken, dass du antike Philosophen liest?« Max zog ein Papiertaschentuch aus seiner Hose und begann kleine Papierkügelchen zu drehen. Dann warf er eines nach dem anderen auf die dunkle Wasseroberfläche hinunter. »Es ist so ein mitleidiges Lächeln. Sie bedauern dich, weil du dich auf so altes Zeug verlässt.«
    »Leider ja, das kenne ich gut.« Sina schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Lachen.
    »Weißt du auch, was Seneca über Verschwörer schreibt?«, hakte Max nach.
    »Was meinst du? Dass sich Verrückte gegenseitig anziehen?« Georg drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung, um Max besser ansehen zu können.
    »Genau, der Mann hatte schließlich reiche Erfahrung in diesem wilden, mörderischen Durcheinander, das man römische Politik nannte«, bestätigte Werfling. »Verschwörer, Gerüchte, Meinungen, Gerede, das so oft wiederholt wird, dass man schließlich daran glaubt. Schließlich treffen sich die Gleichgesinnten im Geheimen, besprechen Möglichkeiten und wälzen Pläne. So lange, bis sie schließlich glauben, dass sie auch umsetzbar sind.«
    »Du meinst, die Anhänger der Schattenlinie glauben, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, ihre jahrelang eingeredeten Machtansprüche umzusetzen?« Georg sah Max neugierig an.
    »Genau. Nach dem, was du mir erzählt hast, haben sie durch euch endlich die so heiß ersehnten Urkunden in die Hand bekommen, in denen Joseph I. die Kinder seiner ungarischen Mätresse anerkennt und sie für erbberechtigt erklärt. Sie können also beweisen, dass ihr Kandidat für die Krone den rechtmäßigen Anspruch darauf besitzt.«
    Max warf eine Handvoll kleiner weißer Kugeln in das schwarze Wasser der Donau.
    »Für Seneca reichen den Verschwörern Monate bis zur Tat. Was, glaubst du, passiert, wenn solche Männer Jahrhunderte Zeit hatten, um sich gegenseitig Mut zuzusprechen, zu unterstützen und sich auf die Machtergreifung vorzubereiten?«
    »Ganz einfach«, antwortete Sina prompt. »Sie werden mehr und immer mehr, verlieren alle Skrupel und jede Hemmung.«
    Max lachte auf. »Ist es nicht unglaublich, wie schnell solch altes Zeug glaubwürdig und gefährlich wird, wenn es sich in einem Stapel Gelbkreuzgranaten manifestiert?«
    Sina drehte sich wieder um und schaute in die Schleusenkammer. Dann blickte er auf die Uhr. Es war fast zwanzig Minuten nach vier. Der Pegelstand stieg und stieg, die dunkle Wasseroberfläche kam näher und näher. Wirbel und Strömungen zeigten, dass das Wasser aus dem Hauptstrom unablässig nachfloss. Die beiden Männer standen stumm nebeneinander. Georg wollte Max nicht aus dem Konzept bringen. Er brauchte den letzten Rest Verstand, den dieser Mann zur Verfügung hatte.
    »Siehst du das Schloss dort?«, brach Max dann das Schweigen und zeigte auf das Ufer gegenüber. Georg nickte und betrachtete das weiße, vierkantige Gebäude mit seinem zentralen Zwiebelturm.
    »Das ist das Schloss Persenbeug. Auf den ersten Blick hat es überhaupt nichts mit unserer Geschichte zu tun. Aber auf den zweiten sehr viel. Hör zu. Am 3. Dezember 1800, also zu jener Zeit, als Metternich Staatskanzler war, kaufte es sich Kaiser Franz I. als Privatbesitz. Dann gehörte es Franz Joseph, dann seiner Tochter Marie Valerie, und schließlich wurde im Jahr 1887 Karl, unser letzter Kaiser, hier geboren. Bis heute ist es im Besitz der Familien Habsburg-Lothringen und Waldburg-Zeil.« Max lächelte geheimnisvoll und Georg konnte ihm nicht folgen. Aber er wartete ab.
    »Verstehst du nicht, Georg?«, fragte Max schließlich, als der Historiker stumm blieb. »Die Geschichte ist alt, aber sie ist überall um uns herum. Und was gibt es Gefährlicheres als ein altes Raubtier, das auf der Lauer liegt? Wir Menschen haben uns seit Tausenden von Jahren kaum verändert. Wir haben immer noch dieselben Probleme, begehen dauernd dieselben Fehler und machen stets dieselben banalen Konflikte durch. Das Biest Geschichte hat Erfahrung mit seiner Beute. Die Zivilisten lachen die alte Jägerin aus, aber ehe sie es sich versehen, beißt sie ihnen das Genick durch.«
    »Ich würde sie lieber als alte Lehrerin sehen«, widersprach Georg.
    »Was hat sie dir denn beigebracht? Hat sie dich

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