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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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gelehrt, Clara von ihrer Spritztour abzuhalten, nicht an ihrem Tod zu zerbrechen, dich nicht auf deiner Burg zu verkriechen?« Das Gesicht Werflings verfinsterte sich. »Ich werde dir ein paar Dinge erzählen, die du so noch nie gehört hast. Aber sie werden dir klarmachen, mit wem du es zu tun hast. Das sind keine Spinner, Georg, die kalte Asche anbeten, sie geben das Feuer weiter.«
    Max warf das ganze Taschentuch ins Wasser und sah ihm zu, wie es trudelnd tiefer sank. Herrgott, kann er nicht endlich auf den Punkt kommen, dachte Sina ungeduldig, schielte auf seine Uhr und fixierte Max. Der war noch immer vom im Wasser treibenden Taschentuch fasziniert.
    »Glaubst du etwa, dass am 28. Juli 1914 der Fahrer von Franz Ferdinand in Sarajevo rein zufällig so lange im Zickzack durch die Stadt gefahren ist, bis der österreichische Thronfolger endlich vor der Pistole von Gavrilo Princip aufgetaucht ist? Wer hat den neunzehnjährigen Gymnasiasten wohl gerade dorthin gestellt?«
    Sina war wie erstarrt. Seine Gedanken überschlugen sich, aber Werfling sprach bereits weiter.
    »Wer, denkst du denn, hat am 10. September 1898 in Genf dem verzweifelten und in seinen Attentatsplänen gescheiterten Anarchisten Luigi Lucheni den freundlichen Tipp gegeben, dass die unscheinbare, in Schwarz gekleidete Gräfin dort am Kai in Wahrheit die Kaiserin von Österreich war?«
    Sina hatte das Gefühl, der finstere Wasserspiegel drohte sich plötzlich aufzubäumen und sich eiskalt um seine Brust zu schließen.
    Werfling war nicht zu bremsen, seine Augen blitzten. »Wer hat dem vor Eifersucht rasenden Förster von Mayerling, einem gewissen Bauer, gesteckt, seine Frau würde sich gerade mit dem Kronprinzen vergnügen? Blöd nur, dass die Kleine im Bett nicht die Frau Gemahlin, sondern Mary Vetsera gewesen war. Tja, dumm gelaufen, daraufhin hat er sich erhängt, Rudolph war tot, die Vetsera auch und der Staat hatte einen Skandal, der selbst heute noch nachhallt.«
    »Moment!«, wehrte Sina ab. »Du willst mir also weismachen, die Schattenlinie würde hinter all diesen Morden und Attentaten im Kaiserhaus stecken? Sie wären ominöse Dunkelmänner gewesen, immer zur rechten Zeit am richtigen Ort, um das Reich zu destabilisieren und sogar den Ersten Weltkrieg loszutreten?«
    Max blieb völlig gefasst, schien klar im Kopf und Georg lief eine Gänsehaut über den Nacken.
    »Ist das nicht der Job eines Schwarzen Bureaus?« Max klang so rational wie schon lange nicht mehr.
    Sina umklammerte das Geländer und seine Knöchel traten weiß hervor. Das Bild begann langsam Gestalt anzunehmen, so unglaublich sie auch schien.
    »Du warst doch sicher auch in der Villa Ilioneus, oder?«, erkundigte sich Werfling wie beiläufig.
    Sina nickte stumm.
    »Dann wirst du ja verstehen, warum ausgerechnet der debile und homosexuelle Bruder von Franz Joseph über den Tod von Kronprinz Rudolph sagte: ›Die ganze Wahrheit ist so schrecklich, dass man sie nie gestehen kann!‹«
    »Du glaubst, Ludwig Viktor war auch in der Villa?« Georg begann langsam die historische Dimension zu verstehen, sah den roten Faden, der sich durch die Jahrhunderte zog wie eine Blutspur.
    »Sie waren alle dort. Der Luzivuzi, Otto und sogar Rudolph.« Max wischte mit der Hand hektisch über die Brüstung, als wolle er die Farbe abreiben. Unter ihnen glitt der nächste Schlepper in die Schleusenkammer.
    »Aber warum Rudolph? Warum haben sie Rudolph getötet? Weil er Franz Josephs Erbe war?« Georg konnte es nicht fassen.
    »Nein, obwohl Rudolph ein Hoffnungsträger gewesen ist«, erläuterte Max und legte Georg den Arm um die Schultern. »Rudolph ist in der Villa am Gallitzinberg gewesen und er hat schnell durchschaut, was dort gespielt wurde. Darum sah er nur eine Möglichkeit, der politischen Eskalation, dem grassierenden Nationalismus und der Schattenlinie beizukommen: Österreich-Ungarn musste zur Republik werden und er ihr Präsident.«
    »Also ein Putsch, um einen anderen zu verhindern?«, meinte Georg nachdenklich.
    »Mehr oder weniger«, gab Max zurück. »Die Macht in den Händen des Volkes würde jeden Usurpator unmöglich machen. Nur würde Rudolph als rechtmäßiges Staatsoberhaupt keinen Putsch benötigen, um eine Verfassungsreform durchzuführen. Keine Revolution, sondern ein ganz korrekter Vorgang.«
    »Und damit keine Möglichkeit für die Schattenlinie, ihre Ansprüche geltend zu machen«, ergänzte Sina.
    »Exakt«, bestätigte Werfling. »Rudolph sammelte alle chiffrierten

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