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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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einem fremden, brutalen Ausdruck im Gesicht. Da erschien wie aus dem Nichts eine massige, fleischige Hand auf Werflings Schulter. Hinter ihm stand ein muskulöser Krankenpfleger mit kurz geschorenen Haaren und sanftem Gesicht.
    »Max, ich glaube, wir gehen jetzt auf die Akut. Okay?«
    »Okay, Otto. Kein Problem«, sagte Max leise und sein Gesicht erhellte sich wieder. »Ich muss nur kurz meinem Freund etwas erklären, ich hab’s ihm versprochen.«
    Aus dem Fernseher, der in einem Eck vor sich hin flimmerte, drangen die neuesten Nachrichten. Gerade als die Sprecherin von einer großen Explosion in Schönbrunn mit mehreren Toten berichtete, wechselte jemand per Fernbedienung den Sender.
    Georg hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Wie durch einen Schleier sah er Otto und Max und fragte sich, ob jetzt nicht sowieso schon alles egal sei.
    »Geht klar, Max, aber mach schnell.« Otto nickte freundlich, aber er umfasste zugleich auch Werflings Oberarme. Unter dem Griff des Pflegers wirkte Max wie ein kleiner, hilfloser Junge.
    »Hör zu, Georg«, stieß er hastig hervor, »wie du siehst, muss ich auf die Akutstation. Du musst logisch denken, es ist eine Zeitlinie, eine Perlenschnur der Geschichte, die sich jetzt zusammenzieht. Es beginnt mit Joseph II., besser gesagt mit seinem Obelisken. Es folgt Metternich. Erinnere dich, sein Kongress tanzt auf einer Gruft mit zwei Linien darin. Aber vergiss die Franzosen dabei nicht. Und dann: Vive la Révolution! Der Kaiser braucht eine Burg und am besten fährt er mit der U-Bahn hin. Der Friede kehrt ein, die Straßen sind wieder ruhig. Jedoch das arme Niederösterreich hat keinen Dom. Darum baut er einen in Transdanubien.« Max zwinkerte Georg zu.
    Aber Sina verstand nicht. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon Max sprach. War er bereits wieder unterwegs in die Abgründe seines kranken Hirns? Hilfe suchend wandte sich Georg an den Krankenpfleger. Aber Otto schloss nur die Augen und schüttelte seinen quadratischen Kopf. Dann führte er Max weg.
    Georg verließ das »Haus 1« panisch und voller Enttäuschung zugleich. Sein zeitraubender Ausflug hatte ihn am Ende mit leeren Händen stehen lassen. Er zog einen Zettel aus der Tasche und notierte mit fahrigen Bewegungen und halbherzig die seltsamen Hinweise, die ihm Max gegeben hatte. Es war ein Strohhalm, mehr nicht, aber er musste sich daran klammern.
    Dann wählte er Pauls Nummer nochmals. Dieser hob nach dem zweiten Läuten ab. Die Erleichterung darüber ließ Sina ins Gras sinken.
    »Georg! Ich hab schon gedacht, die wollen dich dabehalten«, sagte Paul vergnügt und Georg hörte den brummenden Bass von Berner im Hintergrund.
    »Paul«, rief der Wissenschaftler aus, »Gott sei Dank, es geht dir gut. Ich habe schon gedacht … im Fernsehen …«
    Wagner unterbrach den stotternden Freund. »Eine Idee von unserem Pressereferenten Kommissar Bernhard Berner, die mich Kopf und Kragen kosten wird, wenn die Kollegen draufkommen, dass ich sie angelogen habe.«
    Georg musste lachen. »Du hast eine Falschmeldung rausgeschickt? Ausgerechnet du?«
    »Bohr nur weiter in meiner Wunde herum«, gab Paul zurück, »aber wir müssen mit allen Tricks arbeiten, damit wir nicht kampflos im Senfgas ertrinken. Ich hoffe, du hast gute Nachrichten. Wir brauchen dich hier dringend und haben keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Mach dich auf den Rückweg, wir treffen uns in Eddys Werkstatt.«
    »Na ja, ich weiß nicht so ganz, was ich eigentlich weiß«, gab Georg zu und dann zog ein lautes Männerlachen seine Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Sporthallen der Sozialtherapeutischen Klinik ergoss sich eine Blaskapelle, die hier ihre Proberäume hatte. Die Männer waren alle in Tracht. Sie trugen bunte Westen, Kniehosen und hohe Hüte mit Federn daran, die im Wind auf und ab wippten. Die Frauen hatten sich in ihre Dirndl gezwängt. Die Gesichter waren allesamt rosig, prall und gut gelaunt. Die Trachtengruppe reihte sich auf dem Gehweg auf und brachte ihre Instrumente in Position. Auf einen Wink des Kapellmeisters mit seinem blumenumwundenen Taktstock verstummten die Scherze und das Geplauder. Der dicke Mann mit Schnauzbart zählte ein, dann erschallte der Radetzkymarsch. Links, rechts, links, rechts …
    »Ich höre, du hast Unterhaltung im Überfluss«, mokierte sich Wagner. »Mach dich bitte auf den Weg, es brennt!« Damit legte er auf.
    Inzwischen marschierte die Kapelle im Gleichschritt erst am verblüfften Georg Sina und dann am Portierhäuschen

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